Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
Vom Netzwerk:
Alle wussten, dass Tobias öfter mal zu viel trank. Natürlich war auch bekannt, dass kein Jugendlicher die Party nüchtern verlassen hatte und kein Radfahrer aus der Gruppe umgekehrt war. Nur mir warf man vor, nicht geholfen zu haben. Ich war der Sündenbock. Meine moralische Verdorbenheit war Unterrichtsstoff, und selbst unser Mathelehrer, der eigentlich die letzte Klassenarbeit hätte mit uns vorbereitenmüssen, nutzte die Stunde für eine ausgiebige Predigt gegen Alkohol und für die wahren Werte des Lebens: Freundschaft, Liebe, Hilfsbereitschaft. Ich fühlte mich wie bei einem Tribunal. Irgendwann war ich so fertig, dass ich nicht mal mehr rot wurde, wenn jemand auf mich zeigte.
    Hätten nicht drei Wochen später die Ferien begonnen, sodass ich der Hetze entkam, hätte ich mich womöglich aufgehängt. Obwohl es das nicht wert gewesen wäre. Da war es schon besser, sich ein Teufelchen auf den Oberschenkel tätowieren zu lassen, mit Malte einen draufzumachen, vier Tage die Schule zu schwänzen, das ganze Taschengeld für neue Klamotten auszugeben und dann bei Papa einen Kredit aufzunehmen und mit Ida in den Urlaub zu fahren. Wie sie schon sagte: Ganz weit weg.

11
    »Willst du Spaghetti essen, Nele?«
    »Au ja«, antworte ich fröhlich aus der Hängematte. Sie ist sehr bequem und bietet einem einen guten Überblick über den Campingplatz. Er ist momentan alles andere als ausgebucht. Ein Wohnmobil und mit unserem gerade mal vier Zelte. Von den fünf Blockhütten, die wie Wachtürme am Waldrand stehen, scheinen auch nur zwei belegt zu sein. Wenn ich es richtig gesehen habe, wohnen in der einen die rundlichen Frauen und in der anderen ein Angler. Die drei Zelte gehören einem Liebespaar, dem Radfahrerduound einem Schwarzafrikaner, der auch mit dem Fahrrad unterwegs ist.
    »Was magst du denn? Mein Papa hat uns vier Tupperdosen mit seinen Spezialsoßen eingepackt: Wir haben Zucchiniblüten-Ricotta, Artischocken-Mandeln-Oliven, Auberginen-Honig …«
    »Honig auf Nudeln?«
    »Ist der letzte Schrei. Papas neuste Erfindung.«
    »Hast du auch schon mal was erfunden?«
    »Ich hasse kochen. Und erst die ewigen Gespräche darüber: selbst gejagtes Wild, selbst gemachte Soßen …« Ida zieht ein solch angewidertes Gesicht, dass ich laut losprusten muss.
    »Weiß er das?«
    »Er glaubt mir nicht, dass ich am liebsten Fertiges esse, etwas, das man aus einer Dose löffelt oder aus einer Tüte rausgießt. Er denkt, ich sage das nur, um ihn zu provozieren.«
    Ich kringele mich vor Lachen, weil ich’s Ida auch nicht glaube. Man muss nur sehen, wie begeistert sie jetzt ein Tütchen mit frischen Kräutern öffnet, korrekt den Minikühlschrank auswischt, weil ein paar Krümel hineingefallen sind, und die Kräuter mit einer angefeuchteten Fingerspitze probiert. Sie wäre seine geborene Nachfolgerin, aber das sage ich ihr lieber nicht – ich würde schließlich auch eine Krise kriegen, wenn mir jemand prophezeite, ich würde später Hausmeisterin werden. Also schwinge ich mich aus der Matte, setze einen Topf mit Wasser auf den kleinen Gaskocher, lege Sommerhits auf und tanze ein bisschen auf der Wiese.
    Die Musik lockt sofort die Nachbarin aus dem Wohnmobil mit ihrem Söhnchen an.
    »Ihr beiden habt ja gute Laune«, bemerkt sie etwas bitter. »Macht ihr allein Urlaub?«
    »Ja!« Ich tanze auf den Kleinen zu, schnipse mit den Fingern, was er auch gleich nachahmt und so sein Spielzeug, ein quietschgrünes Plüschhandy, fallen lässt.
    Seine Mutter hebt es mit einem verärgerten Blick wieder auf. »Kommt ihr denn allein zurecht?«
    »Warum nicht?«
    »Ganz allgemein. Zwei Mädchen so allein … Habt ihr keine Angst? Der Campingplatz ist nicht eingezäunt, Rotter ist nie da und der Jan hat anderes im Kopf, als nach dem Rechten zu sehen. Hier sieht man schon mal seltsame Leute von außerhalb, die …«
    »Aber Sie haben doch auch keine Angst!«, unterbreche ich sie, wiege mich zur Musik in den Hüften, lache und bringe unsere arme, steife, verklemmte Nachbarin, die ihrem netten Sohn ein scheußliches Plüschhandy zum Kuscheln gibt und im Urlaub einen Putzlappen in der Hand hält, ziemlich in Verlegenheit.
    »
Ich
hab ja auch meinen Mann dabei«, sagt sie.
    »Und wir haben Rocky!«, verkündet Ida, während sie die Nudeln ins Wasser gibt. »Wir brauchen keine Männer.«
    Darüber kann die Nachbarin nicht einmal schmunzeln. Sie nimmt ihr Kind an der Hand – »Komm, Marius!« – und zieht sich kopfschüttelnd in ihre biedere Wohnmobil-Burg

Weitere Kostenlose Bücher