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Vogelfaenger

Titel: Vogelfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Kartoffel. Ich hab das auch versucht. Ihn abzuschütteln. Nicht einfach nur so, weil die Verliebtheit verflogen war und mir seine krankhafte Anhänglichkeit nicht gefiel. Nein, das war nicht der Hauptgrund. Ich war ja schließlich dabei, als der Unfall passiert ist; ich wusste ja alles.«
    »Was denn für ein Unfall? Ich versteh überhaupt nur Bahnhof. Bezieht sich das auf Nadine?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein, auf jemand anderen.Auf den Jungen, von dem ich dir erzählt habe. Auf den, von dem ich immer träume und den ich nicht retten konnte. Nadine …« Ida windet sich, als wäre ihr das Thema plötzlich unangenehm. »Ich weiß nicht genau, was da los war! Ich will es auch nicht wissen!« Für einen Moment sieht sie fast zornig aus, funkelt mich an, als wäre ich ihr zu nahe getreten oder hätte ihr ein Loch in den Bauch gefragt, dann besinnt sie sich aber, sagt Verständnis heischend: »Entschuldige, ich bin aufgeregt. Ich kann aber auch nichts Definitives sagen, weil ich nichts in der Hand habe, ich habe nur eine böse Ahnung, ein Gefühl, dass er Nadine erschreckt und ihr gedroht hat. Dass er sie von mir fernhalten wollte. Deswegen habe ich mich nach dem Fest auf dem Sportplatz auch nicht mehr bei dir gemeldet. Ich wollte dich so vor ihm schützen.«
    »Mich?« Sie verwirrt mich. Ihr Ausweichen, ihre Andeutungen, ihre Stimmungsschwankungen.
    »Ich wollte nicht, dass dir auch was passiert, Nele.«
    »Mir passiert schon nichts«, sage ich und muss seltsamerweise an die Party im Bootshaus denken. Beinahe wäre mir da vielleicht doch was Schlimmes passiert, aber das tut hier nichts zur Sache. »Und was war jetzt mit diesem Jungen? Das verstehe ich nicht.«
    »Macht nichts, du musst nicht alles verstehen.«
    »Na toll!«, ereifere ich mich, stemme die Hände in die Hüften und stelle mich so vor sie, dass sie sich nicht mehr im Spiegel sehen kann. »Du könntestlangsam mal den Mund aufmachen, Ida! Du musst mich einweihen. Du redest davon, mich schützen zu wollen. Ich muss wissen, was hier los ist, raffst du das nicht?«
    »Ich erzähl’s dir doch gerade!«, schreit sie mich an. »Aber es fällt mir nun mal schwer«, fügt sie leiser und kleinlaut hinzu. »Du darfst nicht so ungeduldig sein.«
    »Falsch! Ich darf so ungeduldig sein, wie ich will!«
    Wir funkeln uns an. Sie ist weiß im Gesicht, aber ihre Nasenflügel beben und ich höre jeden ihrer Atemzüge.
    »Okay«, sage ich gefasst und lehne mich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Waschbecken, »dann erzähl’s mir eben von Anfang an.«
    Ida macht ein Gesicht, als hätte sie einen schlechten Geschmack auf der Zunge, schluckt. »Also. Er. Damals. Er hat noch ganz kurze Haare, Igelschnitt. Trägt die graue Hose und das weiße Hemd, selten die Mütze, die nimmt er sofort ab, wenn er die Küche verlässt. Er steht immer unten im Hof in der Tür zur Küche, macht seine Raucherpause und zwinkert zu meinem Fenster hinauf. ›Hey, Täubchen‹, sagt er, weil ich doch mit zweitem Vornamen Paloma heiße. Scheißname. Er hat mich nur so genannt: Paloma oder Täubchen. Anfangs mochte ich das. Ich lehnte mich über die Fensterbank und gurrte wie ein Täubchen. Ich mochte es, sein Zwinkern und verschmitztes Grinsen, seine Hand, die sich durch den Igelschnitt fährt, das Rauchen. Ich mochtees, dass meine Eltern irritiert sagten, ich hätte mich doch damals für meinen ersten Vornamen entschieden, ich könnte mich jetzt, mit fünfzehn, nicht umbenennen. Letztendlich war es ihnen aber, glaube ich, egal, sie fanden es wahrscheinlich amüsant. Amüsant, dass sich der klügste Bursche für die jüngere Tochter interessierte. Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter sich einmal neben mir aus dem Fenster lehnte und sagte: ›Na, dem gefällst du aber.‹ Und dass mich das gefreut hat. Ich mochte, dass mich auch einer beachtet hat. Meinen Eltern ging’s und geht’s doch immer nur um ihr Restaurant, und wenn eine von uns gelobt wurde, dann meine Schwester. Hanna ist so eine Überfliegerin, eine, der alles leichtfällt, die überall reinpasst, sich sofort mit den Leuten unterhält, everybody’s darling, so in der Art.«
    »Du bist doch auch so.«
    »Finde ich nicht.«
    »Find ich doch.«
    Sie greift nach ihren Zigaretten, steckt sich eine an. »Jedenfalls war ich begeistert, als er anfing, mir Liebesgrüße zu backen. Das waren kleine Päckchen mit selbst gemachten, nach mir benannten Süßigkeiten: Ida-Törtchen, Victoria-Schnittchen, Paloma-Pralinen und zum

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