Vogelfaenger
Schluss Täubchenherzen. Die waren mit Marzipan gefüllt. Er hat mir eine ganze Schachtel überreicht. ›Statt schmalziger Worte‹, hat er gesagt und sich verlegen eine Zigarette angezündet. ›Probier mal.‹ Hab ich gemacht und bin süchtig geworden. Aber vielleicht kann man das auch verstehen.«Sie seufzt. »Hat so was schon mal einer für dich gemacht?«
»Nee«, sage ich und verziehe das Gesicht. »Tobias hat nicht so originelle Ideen. Er ist eben mehr normal. Ich mag aber auch kein Marzipan.«
»Sei nicht beleidigt! So meinte ich das nicht.« Sie legt ihren Kopf an meine Schulter. »Ich meine nur, dass er erst ziemlich unwiderstehlich war. Auch zärtlich und so. Nur eben sehr besitzergreifend und bestimmend. Die Sache mit meinem Namen zum Beispiel: Irgendwann wollte ich nicht mehr, dass er mich
Täubchen
nennt. Als Kosewort und Abwandlung von Paloma war das ja ganz schön, aber einmal waren wir auf einer Party und er sagte immer nur: Täubchen, komm zu mir, Täubchen, gib mir mal dies, Täubchen, mach mal das. Die anderen machten schon ihre Witzchen darüber, kannst dir ja vorstellen, wie albern die das Gesäusel fanden. Daher sagte ich ihm, ich hieße jetzt wieder Ida und er solle mich auch gefälligst so nennen. Mensch, hat der sich aufgeregt!«
Sie drückt ihre Zigarette aus. »Das kannst du dir nicht vorstellen, wie wichtig ihm solche Kleinigkeiten waren. Ich war immer
sein Täubchen
oder
sein Vögelchen
. Ganz schlimm wurde es, als er mit dem Tick anfing, sich selbst Vogelfänger zu nennen.«
»
Vogel fänger
?«
»Ja! Das klang doch, als hätte er mich eingefangen und nicht mit Süßigkeiten erobert!«
»Aber wieso Vogelfänger?«
»Ach, das war ursprünglich Papas Idee. Er hatdas mal im Spaß zu ihm gesagt. Und dann, nur weil er von Papa diesen Extrajob hatte, hat er sich was drauf eingebildet und gemeint, er hieße jetzt nicht mehr Lars, sondern …«
»Lars heißt er also. Gut, dass ich das wenigstens schon mal weiß. Sag mal, kann es sein, dass ich ihn kenne? War er nicht auf Dressmans Party?«
»Ja, ja, war er auch. Zu dem Zeitpunkt hat’s zwischen uns schon arg gekriselt, obwohl noch nicht Schluss war. Zum Schlussmachen habe ich erst nachher den Mut gefunden.« Sie lächelt ein bisschen. »Nachher heißt: Nachdem ich beschlossen hatte, mit dir in den Urlaub zu fahren.«
»Aha«, mache ich. Mich überrascht hier gar nichts mehr. Allerdings finde ich die Formulierung etwas eigenwillig: Sie hat es beschlossen, hat mich für die Reise ausgewählt, ist das eine Ehre oder wie? Aber ich sollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, besonders nicht jetzt.
Wir sind beide sehr aufgeregt. In solchen Situationen sagt man schon mal Dinge, die man nicht so meint.
»Er hatte übrigens schon auf der Party geargwöhnt, dass du ihm gefährlich werden könntest. Dass du – genau wie Nadine vorher – Einfluss auf mich gewinnst und er mich nicht mehr für sich allein hat. Es hat ihn extrem gewurmt, dass du so eine Show um deinen Sprung gemacht und mich die ganze Zeit in Beschlag genommen hast. Er war richtig böse auf dich. Das meine ich: Solche Kleinigkeiten können ihn schon rasend machen.«
Jetzt ist mir alles klar. Ich schlage mir mit der Hand an die Stirn. Gleichzeitig lehne ich mich gegen ein Waschbecken, weil mir auf einmal übel ist. Endlich verstehe ich, wer in den Keller gekommen war, als ich mich umzog, und mit welchem Motiv er das getan hat. Im Nu ist die Angst wieder da, das flaue Gefühl im Magen, die Kälte, von der ich nicht wusste, ob sie von innen kam oder vom Bad im See. Stockend presse ich die Worte hervor:
»Er war allerdings sehr böse auf mich, Ida. Er ist mir gefolgt, als ich mich umgezogen habe. Er muss es gewesen sein, ja, bestimmt, er war’s. Du bist ja nicht gekommen, um mich zu beglückwünschen. Du hast mir ja nur meine Klamotten von der Veranda heruntergeworfen.«
Idas Gesicht wird ganz bleich. Sie weiß genau, wovon ich rede.
»Was hat er gemacht?«, haucht sie.
Ich schüttele den Kopf, als wolle ich die Erinnerung abschütteln. »Er kam rein, als ich mich gerade ausgezogen hatte. Ich hörte, wie die Tür aufging, sah ihn aber nicht, weil ich selbst nicht gesehen werden wollte und mich hinter die Kästen duckte. Ich hörte nur, dass jemand da war. Eine schwere, energische Person, kein zierliches Mädchen, kein Waschlappen, eher ein kräftiger Typ, und einer, der ein klares Ziel hat, nicht einer von diesen angesäuselten Schluffen, die die Bierkästen suchen:
Weitere Kostenlose Bücher