Vogelfaenger
Mund entschlüpfen.
Sie zeigt mit einer resignierten Bewegung auf die Wäschestücke: Bikinis, Handtücher, ein Nachthemd, von dem ich nicht weiß, wem es gehört. »Du hast nicht zufällig eine Verletzung? Vielleicht einen Blutsturz?«
»Was soll die Frage, hab ich nicht.« Ich richte den Strahl meiner Taschenlampe von einem Wäschestück zum anderen. Rostrote, fast schwarze Blutflecken prangen auf dem hellblauen Handtuch, demrosa-grün karierten Küchentuch und dem cremefarbenen Nachthemd. Es ist nicht viel Blut und außerdem gemischt mit Taubenfedern, aber es sieht dennoch aus, als hätte jemand die Kleidung eines Mordopfers zum Trocknen ausgehängt. »Der ist ja komplett irre, der Typ! Dass er mich im Keller eingeschlossen hat, war ja wahrscheinlich nur eine harmlose Übung!«
»Das versuche ich dir ja die ganze Zeit klarzumachen!« Ida wirft sich in meine Arme und fängt laut an zu weinen.
In dem Moment kommt Hannes zurück. »Alles klar?«, fragt er dümmlich, er sieht doch, dass sie weint. Dann bemerkt er die verschmierten Wäschestücke und fragt fassungslos: »Versteh ich das jetzt richtig?«
»Ja«, schluchzt Ida, »das verstehst du richtig, das ist eine Drohung.«
»Heiliger Strohsack!« Hannes stellt sich dicht vor die Leine. »Da müsste die Spurensicherung kommen.«
Über diese Aussage muss ich fast lachen, obwohl mir auch die Tränen in den Augen stehen. »Ja, wenn wir im Krimi wären!«
»Das sind wir«, antwortet er düster und zeigt auf das Küchentuch. »Hier wurde ein ziemlich großes Messer abgewischt. Ich fress ’nen Besen, wenn das nicht mein Messer war, das geklaut worden ist.«
27
Sieh an, sie rücken zusammen! Sie drängen sich aneinander aus Furcht vor der Dunkelheit, aus Furcht vor ihm. Das ist ein schmeichelhafter Gedanke. Balsam für seine sehnsüchtige Seele. Er grinst in sich hinein, den Dolch des einen Radfahrers in der Hand wiegend. Das Tierblut hat offenbar einen guten Effekt erzielt, selbst die beiden Sportheinis sind ganz aufgeregt. Schöner wäre es natürlich noch, wenn es das Blut des kleinen Köters gewesen wäre. Aber auch so läuft alles nach Plan. Sie soll wissen, dass er da ist, dass er nichts vergisst und nicht aufgibt, niemals. Ob sie das Nachthemd erkannt hat, das er zwischen ihre Wäsche geschmuggelt hat? Er hatte es ihr kurz nach dem Vorfall geschenkt, sie hatte es in den Müll geworfen und wohl gedacht, er merke es nicht. Alles merkt er. Alles hat er unter Kontrolle, denn er weiß, dass sein Täubchen es ihm einfach machen wird, indem sie jede Konfrontation mit ihm scheut. So war sie schon immer. Immer wollte sie Unangenehmes einfach wegschieben, aber was ihn früher störte, kommt ihm jetzt zugute. Er könnte sich mitten auf den Platz stellen und bliebe für sie doch unsichtbar. Sie will ihn nicht sehen. Sie will nicht wissen, wo er sich versteckt und warum. Sein Täubchen ist leider sehr dumm.
Er muss allerdings aufpassen, dass er nicht größenwahnsinnig wird. Er muss hoffen, dass seine Rechnung aufgeht und seine Auserwählte bald von selbst zu ihm kommen wird. An vier Personen darf er sich
nicht herantrauen. Wenn er es gar nicht mehr aushalten kann, muss er zumindest darauf setzen, dass sie die schützende Nähe der anderen verlässt. Ein paar Minuten würden ihm reichen. Ein Gang zum Klo zum Beispiel.
28
»Hab keinen Hunger«, mault Ida und lässt das Grillfleisch auf ihrem Teller kalt werden.
Fabi ist trotz der kurzen, bedrückenden Geschichte, die er gerade von Ida gehört hat, anscheinend locker wie eh und je. Er reicht ihr seine Bierflasche. »Kopf hoch! Wir lassen uns nicht einschüchtern. Ich find es ganz gemütlich hier. Zwei Zelte dicht beieinander, alles beleuchtet, ein knisternder Grill. Ich komme mir ein bisschen vor wie auf Abenteuerexpedition in der Wildnis … Irgendwo da draußen schleicht das Böse herum: die Riesenanakonda, Godzilla, der T-Rex , der gefährliche Irre …«
»In den Filmen, auf die du jetzt anspielst, Fabi, wird die Gruppe der Menschen aber nach und nach dezimiert. Alle fünf Minuten wird wieder einer ermordet. Zehn kleine Camperlein …« Hannes verschränkt die Arme vor der Brust.
»Dann opfere du dich als Erster, Hannes«, frohlockt Fabi. »Geh doch mal zum Auto und guck, ob wir noch Zigaretten haben.«
»Warum gehst du nicht selbst?«, schnappt der.
»Kann nicht laufen!« Fabi lacht und klopft seinemFreund kumpelhaft auf die Schulter. »Mensch, Leute, verbreitet nicht so eine Grabesstimmung, da kriegt man
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