Vogelfaenger
auch eine üble Geschichte mit dir herumschleppst, genau wie ich. Tobias’ Unfall und der Zeitungsbericht haben den Ausschlag gegeben. Plötzlich hatte ich den Mut, dich anzurufen. Denn du bist vielleicht die Einzige, die mich verstehen kann.«
»Dafür musst du sie mir aber mal erzählen, deine üble Geschichte.«
»Jaa. Ich weiß. Das fällt mir schwer. Morgen, wenn wir allein sind, versuch ich’s. Versprochen.«
»Großes Ehrenwort oder ist das nur wieder ein Aufschub?«
»Nein, Ehrenwort. Ich …« Sie pflückt ein paarBlätter des Buschs ab, hinter dem wir kauern, und zerreißt sie in kleine Schnipsel. »Ich schäme mich einfach. Ich kann nicht so locker über alles reden wie du. Über Fehler, die ich gemacht habe. Wenn solch ein Zeitungsartikel über mich erschienen wäre, hätte ich mich umgebracht.«
»Ach komm, das sagt man mal so, und dann …«
»Nein, das könnte ich nicht ertragen!«, ruft sie heftig und fügt dann wehleidig hinzu: »Und auch über das, was mir passiert ist, über meine Ängste könnte ich nicht so reden. Vorhin, als du mir die Story mit dem Keller erzählt hast und ohne Scheu über deine Gefühle gesprochen hast, da ist mir das klar geworden. Ich hab dich echt bewundert.«
»Sooo schlimm war das ja auch nicht«, wiegele ich ab.
Wahrscheinlich haben die Jungs recht und dieser kranke Kerl hat ihr doch was Sexuelles angetan. Klar, dass sie das nicht erzählen will.
»Aber du hattest Angst im Keller, oder? Du hast doch einen Schrecken gekriegt, du hast doch gezittert und gehofft, dass nichts passiert, dass das nur ein Albtraum ist, dass es schnell vorbeigeht, dass …«
Ida bricht ab und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Als der Typ in den Keller kam, spürte ich sofort, dass es ein Typ ist, und auch, dass er nicht in guter Absicht kommt und ich eine ganz schlechte Position zur Verteidigung habe. Meine Gedanken sind mir in Panik davongaloppiert, vor meinen inneren Augen spulten sich schlimmste Fernsehbilder ab, ganz schnell ging das alles, während mein Körperfür einen Moment in eine richtige Starre fiel und ich gleichzeitig glaubte, dass meine aufgerissenen Augen sich nicht mal mehr trauten zu blinzeln.
»Ich hätte mir fast in die Hose gemacht, wenn ich denn eine angehabt hätte«, sage ich zu Ida. Statt einer Antwort stößt sie einen Laut aus, der eine Mischung aus Seufzer, Schluchzer oder Lacher sein kann, ein jämmerlicher Laut ist es, und da bin ich mir sicher, dass sie mir nicht aus mangelndem Vertrauen oder Bosheit etwas verschweigt, dass sie sich einfach wirklich nicht öffnen kann. Ich lege den Arm um sie, sage: »Komm, es war ein langer Tag«, und kehre mit ihr zu den Zelten zurück.
Dort setze ich mich zu Fabi, während sie dankbar in ihren Schlafsack kriecht.
Fabi und ich, beide eigentlich sehr redselig veranlagt, schweigen erst mal eine ganze Zeit. Es ist so ungewohnt, zu zweit hier zu sitzen. Überhaupt ist es Wahnsinn, dass ich mit diesem jungen Mann hier sitze, als wären wir ein Pärchen. Bis heute früh habe ich noch ununterbrochen an Tobias gedacht, mittags kreisten meine Gedanken um Jan, jetzt sitze ich hier mit dem netten Fabi.
»Hast du eigentlich ’nen Freund?«, fragt er plötzlich, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich nehme mir noch etwas zu trinken. »Hatte einen. Hab Mist gebaut und er hat mich verlassen.«
Fabi grinst hörbar in sich hinein. »Ihr seid auch zwei. Ich hab mir schon gestern gedacht, als ich euch das erste Mal auf dem Parkplatz gesehen hab, dass hier jetzt einiges los sein wird.«
Ich kichere. »Tjaa …«
Und dann setze ich mich zu ihm auf die Liege, ganz kumpelhaft und ohne Hintergedanken. Wir lehnen uns aneinander und ich erzähle ihm von Tobias, von unserer Liebesbeziehung, die sich kaum von der unserer Eltern unterschied, von seinem Doppelbett, das er extra für uns und gegen den Protest seiner Eltern auf dem Trödel gekauft und in sein winziges Zimmer gestellt hatte, von seiner Partyfaulheit, von meinem Tanz auf dem Bootshausdach und dem Mondlichtbad.
»Das würde ich jetzt auch gern mit dir nehmen, ein Mondlichtbad.«
»Hör auf, Fabi, wir sind hier, um Wache zu halten.«
»Stimmt. Und du stehst auf Wespen-Jan.«
»Ida vermutet, dass das auch ein Anschlag war«, antworte ich.
»Glaub ich nicht. Der will doch was von ihr und nicht von dir. Wenn
ich
die Wespen auf Jan gescheucht hätte …«
»Du würdest so was machen?«
»Nee. Deswegen kriege ich ja auch keine Freundin.«
Wir seufzen beide, kuscheln
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