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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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vor einem Schnellrestaurant an und legte den Kopf auf das Lenkrad, um wieder zur Ruhe zu kommen. Zwar zitterte er am ganzen Leib, war aber dennoch erleichtert, dass das scheußliche Gebäu-de dem Erdboden gleichgemacht worden war. Als er über seine Schulter blickte, sah er, dass jetzt an dieser Stelle eine Lebensmittelhandlung und ein Bahnhof entstanden waren. Gut so.
    Schließlich wendete er und fuhr in Richtung Inverness zurück, dann hoch nach Glen Mór, von dort erst in nordwestlicher, später in nordöstlicher Richtung zum östlichen Rand von Glen Ciorram, wo er sich wieder gen Westen wandte. Er vermied es, direkt in die Stadt hineinzufahren, denn er wollte erst gar nicht sehen, was aus dem kleinen Dorf von früher geworden war. An mehreren Schildern war er vorbeigekommen, die Touristen den Weg zur Burg und zur hiesigen Whiskybrennerei wiesen. Er entdeckte auch eine Hinweistafel mit der Aufschrift »Königin-Anne-Garnison, 1707« und einen Pfeil, der auf die Straße wies, die sich zu seiner Linken entlangwand. Kopfschüttelnd stellte er bei sich fest, dass sich die hässliche Baracke ziemlich verändert haben musste, wenn sie jetzt als Touristenattraktion diente.
    Vor der letzten Biegung vor dem Tal, ehe die Burg in Sicht kam, bog er bei dem kleinen schwarzweißen Schild mit dem Pfeil und der Aufschrift >Broch Sidhe< ab. Er stellte den Wagen auf dem Parkplatz am Anfang des schmalen Tals ab, stieg aus, holte seinen Pass und seine Brieftasche aus der Tasche, nahm Geld und Kreditkarten heraus und ließ beides dann zu Boden fallen. Mit seinem sgian dubh schnitt er die alte Narbe an seinem Arm ein Stück auf und ließ das hervorquellende Blut auf Fahrersitz und Lenkrad tropfen. Er wollte nicht, dass seine Mutter für den Rest ihres Lebens nach ihm suchte; besser, sie hielt ihn für tot. Dann riss er einen Streifen von seinem T-Shirt ab und verband damit seinen Arm. Die Autotür ließ er offen stehen.
    Mit seiner Reisetasche in der Hand folgte er dem mit Steinplatten ausgelegten Weg. Die Platten sahen alt aus, lagen vielleicht schon seit hundert Jahren hier, aber er kannte sie noch nicht. Der Turm jedoch wirkte unverändert, nur die Eiche war noch gewachsen; das Innere des Turms lag jetzt vollständig im Schatten. Der Rasen war gepflegt, sauber gemäht und von Unkraut befreit; die kleinen schwarzen Pilze bildeten ein hübsches Muster im grünen Gras. Dylan bohrte einen Finger in das Erdreich zu seinen Füßen und stellte fest, dass es so rot war wie eh und je. Sogar das heruntergebröckelte Mauerwerk sah noch so aus wie früher, obwohl ein Teil der Mauer jetzt von Stahlstreben gestützt wurde. Der Parkplatz war leer gewesen, und auch in der Nähe des Turms hielt sich niemand auf. Die Sonne würde bald untergehen; zu dieser Jahreszeit und so hoch im Norden sank sie sehr schnell.
    »Sinann!« Rechnete er tatsächlich damit, eine Antwort zu bekommen? Sie musste noch am Leben sein, musste sich noch in dieser Gegend aufhalten. Über eine andere Möglichkeit wollte er noch nicht einmal nachdenken. »Sinann, bitte spiel nicht Katz und Maus mit mir. Ich brauche dich.«
    Er wartete eine Weile, dann wiederholte er unsicher: »Sinann?« Als wiederum alles ruhig bist, war er nahe daran aufzugeben.
    »Meinen Namen hast du also nicht vergessen.« Beim Klang ihrer Stimme machte sein Herz einen Satz. Er drehte sich um und sah sie auf den Stufen unter dem Eichengeäst hocken. Eine Welle der Erleichterung schlug über ihm zusammen.
    »Sinann, ich möchte zurück nach Hause.«
    »Du bist zu Hause. Zwei Jahre lang hast du mir ständig in den Ohren gelegen, ich solle dich nach Hause schicken, und nun bist du zu Hause und immer noch nicht zufrieden.« Sie wirkte verhärmt und erschöpft. Ihr Körper zeigte keine Spuren eines Alterungsprozesses, aber ihre Augen blickten trübe, und sie ließ mutlos die Schultern hängen. »Weißt du, du hattest nämlich Recht. Der Lauf der Geschichte kann nicht geändert werden. Auch wenn du zurückgehen würdest, könntest du nichts ausrichten. Die Engländer werden Schottland nach wie vor als ihren Besitz betrachten; die Clans werden weiterhin der Vergangenheit angehören und nur als Vorwand dienen, den Touristen aus den Kolonien karierte Tücher zu verkaufen. Sogar die Sprache wird aussterben. Schottland ist und bleibt der Sklave der englischen Regierung.«
    »Das stimmt nicht.«
    Sie zog die Brauen hoch, mehr nicht. Ihre Reaktion erschreckte ihn. Die Lebhaftigkeit, mit der sie ihm sonst immer

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