Vogelfrei
an Land und betete für mich. Es half, ich überlebte, und als ich wieder gesund war, gab ich ihm ein neues Netz und wachte fortan über ihn und seine Familie und später über seine Söhne und Enkel, und so kam ich mit diesem Zweig der MacMhathains nach Glen Ciorram, als sie vor den Wikingern fliehen mussten.«
»Du bist also schon eine ganze Weile hier?«
»Ich habe viele Generationen von Mathesons und davor von MacMhathains kommen und gehen sehen. Ich ...«
Sie verstummte, als ein alter Mann eine Geschichte anstimmte. Die Unterhaltung am Feuer erstarb allmählich, bis alle gebannt lauschten. Der graubärtige Erzähler sprach Gälisch; seine Stimme klang so klar und kraftvoll, dass man ihm sein Alter kaum glauben mochte. Seine beweglichen Züge erzählten ihre eigene Geschichte, die Augen wurden dabei abwechselnd groß und wieder schmal, beim Grinsen entblößte er einige wenige schwärzliche Zahnstummel, und in seiner Stimme schwangen Freude und Kummer mit gleicher Intensität mit. Er sprach in einem eigenartigen, fast an eine Melodie erinnernden Rhythmus.
Dylan flüsterte Sinann zu: »Wovon redet er?«
Sie schniefte leise und erwiderte in den leeren Raum hinein: »Nanu, will da jemand etwas von mir?«
Als er nicht reagierte, ließ sie sich doch zu einer Erklärung herab, da sie außer Stande war, ihr Wissen für sich zu behalten. »Er erzählt, wie die Burg zu ihrem Namen gekommen ist.«
»Wissen das nicht alle schon längst?«
»Die Erwachsenen schon, aber sie werden nie müde, es noch einmal zu hören. Und für die Kinder ist es neu. Es macht doppelten Spaß, eine Geschichte zu erzählen, wenn die Zuhörer sie noch nicht kennen.«
»Und woher hat die Burg nun ihren Namen?«
Sinann räusperte sich. »Das ist schnell erzählt. Früher lebte in dieser Burg ein Laird namens Cormac Matheson. Er besaß einen riesigen weißen Hund; so groß, dass er den Beinknochen einer Kuh zwischen seinen Kiefern zermalmen konnte, aber zugleich so sanft, dass sich kein Lamm vor ihm fürchtete, wenn er es in seinem Maul davontrug. Dieser Hund folgte dem Laird auf Schritt und Tritt, und niemand wagte, Hand an Cormac zu legen, wenn das Tier in der Nähe war, denn es war seinem Herrn bedingungslos ergeben und hätte nie zugelassen, dass jemand diesem etwas antut. Der Laird war ein weiser und gerechter Mann. Leider hatte er das Unglück, sich in ein Mädchen aus dem benachbarten Clan MacDonell zu verlieben. Doch ihr Vater wollte sie keinem Matheson zur Frau geben, weil zwischen den beiden Clans eine jahrhundertealte Feindschaft bestand. Cormac musste seine Braut entführen, und die beiden wurden am Tag darauf in der Burg getraut.
Als die MacDonells kamen, um das Mädchen zurückzufordern, trat der Laird ihnen mit seinen bis an die Zähne bewaffneten Männern hier, an dieser Stelle, entgegen.« Sinann zeigte auf den Boden, und automatisch blickte auch Dylan nach unten, als ob es dort etwas zu sehen gäbe. Er sah nur Gras. Die Fee fuhr fort: »Cormac flehte seinen Schwiegervater an, die junge Frau bei ihm zu lassen, aber MacDonell ließ sich nicht erweichen. Es kam zum Kampf; die beiden Parteien drangen mit Schwertern, Dolchen und Tartschen aufeinander ein. Die wütenden MacDonells fügten den Männern von Glen Ciorram, die gar nicht hatten kämpfen wollen, entsetzliche Verluste zu. Jeder Mann im kampffähigen Alter fiel, und wäre nicht Cormacs jüngerer Bruder zu dieser Zeit zufällig nicht im Tal gewesen, so hätte der Laird keinen Nachfolger mehr gehabt, und die Mathesons von Glen Ciorram wären an jenem Tag für immer ausgelöscht geworden.
Auch der weiße Hund beteiligte sich an dem Kampf und bewies ebenso viel Mut wie die Männer. Doch als die Schlacht vorüber war und die Mathesons besiegt waren, fand man ihn mit durchschnittener Kehle neben Cormacs Leichnam liegen. MacDonell forderte seine Tochter zurück und führte seine Männer heimwärts.«
Dylan trank einen Schluck Ale und flüsterte dann: »Also hat Cormacs jüngerer Bruder die Burg nach dem tapferen Hund benannt?«
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, sei doch nicht so ungeduldig. Weißt du, die Mathesons kamen nämlich nie in ihrer Heimat an. Sie schlugen hier ganz in der Nähe ihr Nachtlager auf. Niemand weiß genau, was geschehen ist, aber in jener Nacht wurden sie von einem Tier angegriffen, das jedem MacDonell - auch Cormacs Braut - die Kehle durchbiss. Man sagt, es sei der weiße Hund gewesen, und bis zum heutigen Tag kann man ihn manchmal mit
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