Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
hassen konnten.

6.
    Wochenlang schuftete Dylan auf lain Mathesons Feldern; er hasste das kärgliche Essen, die allgegenwärtige Kälte und die eintönige Arbeit, am meisten aber hasste er die verdammte Fee. Wie sehr er auch betteln mochte, Sinann weigerte sich beharrlich, ihn nach Hause zu schicken. Wieder und wieder erklärte er ihr, dass nichts und niemand die Schotten vor der Unterdrückung durch die Engländer retten könne und ein einzelner Mann schon gar nicht im Stande sei, den Lauf der Geschichte zu ändern. Aber sie wollte ihm einfach nicht glauben, demzufolge konnte er nur warten, bis sie endlich zur Einsicht gelangte. In der Zwischenzeit brauchte er Geld, Nahrung und ein Dach über dem Kopf, also tat er seine Arbeit und hortete die Münzen, die Malcolm ihm an den Zahltagen überreichte.
    Er hatte keine Ahnung, wie viel er verdiente, und selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte er nicht gewusst, was die Dinge des täglichen Bedarfs kosteten. Die Silberstückchen sahen gar nicht aus wie richtiges Geld; sie waren klein und unregelmäßig geformt, einige trugen auf der einen Seite einen Königinnenkopf und auf der anderen eine 3, über der eine Krone schwebte. Sie erinnerten Dylan an die Ziermünzen, die manche Frauen an ihren Amulettarmbändern trugen, und er wusste nur, dass jede das Dreifache eines bestimmten Wertes zählte. Die Königin hielt er für die gegenwärtig auf dem Thron sitzende Anne. Die Münzen, auf deren Rückseite eine 1 prangte, zeigten auf der anderen Seite einen Männerkopf. Dylan konnte nur raten, um welchen König es sich handelte. Charles? William? James konnte es nicht sein, und die beiden Georges kamen erst später. Er bewahrte die Münzen in seinem sporran auf, und damit sie nicht verräterisch klimperten, hatte er sie in den Rest des weißen Leinentüchleins gewickelt.
    Er wurde aber nicht nur in Münzen, sondern auch in Naturalien entlohnt. So erhielt er ein neues Hemd aus ungebleichtem Leinen und einen eigenen sgian dubh, den er in einer Scheide an seinem linken Oberarm trug. Auch mit der Scheide war er für seine Arbeit bezahlt worden. Der schwarze Eisendolch war klein, maß nur acht oder neun Zoll, wovon drei auf die Klinge entfielen, aber diese war zweischneidig geschliffen und sehr scharf. Am Ende des Heftes befand sich ein schmales Stichblatt, sehr ungewöhnlich für einen schottischen Dolch, und er fragte sich insgeheim, warum der Messerschmied es für nötig gehalten hatte, eine so kurze Klinge mit einem Stichblatt zu versehen. Vielleicht hatte gerade dieser Schönheitsfehler dazu geführt, dass die Waffe als Zahlungsmittel in Umlauf gelangt war. Dafür war der Griff aus Hirschhorn gefertigt und hatte tiefe Kerben, die eine sichere Handhabung ermöglichten. Viele Dolche, die er in der letzten Zeit gesehen hatte, bestanden lediglich aus einer spitz zugeschliffenen Eisenstange und einem primitiven Holzgriff.
    Malcolm sagte, als er Dylan die Waffe reichte: »Vielleicht interessiert es dich, dass dieser Dolch eine Geschichte hat.«
    Dylan grinste. »Alles und jedes hier hat eine Geschichte. Man kommt ja ganz durcheinander damit.«
    Malcolm musste lächeln. »Nun, dieser Klinge haftet ein zweifelhafter Ruf an. Die Geschichte ist aber ein bisschen kompliziert. Ich sage dir nur so viel ... wenn du Captain Bedford jemals ohne Hose zu sehen bekämst ...« Dylan rümpfte angeekelt die Nase, woraufhin Malcolm in schallendes Gelächter ausbrach. »Aye, diesen Anblick möchte ich mir auch lieber ersparen. Aber wenn du ihn so sehen würdest, würdest du oberhalb seines Knies eine Narbe entdecken, die genauso breit ist wie diese Klinge hier. Iains Vater hat sie ihm vor einigen Jahren beigebracht.«
    »Tatsächlich?« Dylan untersuchte die Klinge so genau, als würde noch englisches Blut daran kleben, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen.
    »Tatsächlich.« Malcolm kicherte leise.
    Dylan nahm die Waffe bereitwillig als Lohn für ein paar Tage Arbeit entgegen und gab Malcolm sein Messer wieder.
    Die Ernte wurde zu einem erbitterten Wettlauf gegen die Kälte, denn mit jedem Tag roch die Luft stärker nach Schnee. Jetzt schwitzte niemand mehr bei der Arbeit; im Gegenteil, die Männer wickelten ihre Plaids enger um sich, um sich vor dem beißenden Wind zu schützen. Dylan gewöhnte sich an, seine beiden Hemden übereinander zu tragen. Zottige schwarze Viehherden wurden von den höher gelegenen Weiden ins Tal getrieben, um den Winter über in denselben Torfhütten eingestellt zu

Weitere Kostenlose Bücher