Vogelfrei
nie mit seiner Familie Verbindung aufgenommen hatte, obwohl er zu jung war, um den Mann überhaupt gekannt zu haben.
Dylan zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, ich habe nie gefragt. Vielleicht wollte er nicht, dass seine Eltern von seiner Tat erfuhren. Jedenfalls bin ich der lebende Beweis dafür, dass Roderick nach 1666 noch am Leben war.« Was sogar den Tatsachen entsprach. Zwar war er nicht Rodericks Sohn, aber ein direkter Nachfahre von ihm, und wenn Roderick in Edinburgh gestorben wäre, gäbe es ihn heute nicht.
»Lebt er denn noch?« Das kam von Malcolm, der seinem Alter nach zu urteilen damals ein vielleicht zehnjähriger Junge gewesen sein musste.
Dylan überschlug die Daten schnell im Kopf und rechnete aus, dass Roderick 1713 fünfundsechzig Jahre alt gewesen sein musste. Er entschied sich für die wahrscheinlichste Möglichkeit und schüttelte den Kopf. »Nein, er starb vor einigen Jahren.«
»Hast du noch Brüder oder Schwestern?«
Wieder schüttelte Dylan den Kopf. Er hatte keine Geschwister und auch keine Ahnung, wie viele Kinder Roderick gezeugt hatte. Er wusste nur, dass zumindest ein Sohn da gewesen sein musste, der den Namen weitergegeben hatte und der zurzeit irgendwo südlich der Mason-Dixon-Linie lebte.
Malcolm sah so aus, als wollte er noch weitere Fragen stellen, aber er kam nicht mehr dazu, weil die Hunde plötzlich wie wild zu bellen anfingen und jeder sich umdrehte, um zu sehen, was die Tiere so aufregte. Was sie da zu sehen bekamen, veranlasste die Männer, sich mit grimmiger Miene zu erheben. Die Frauen griffen sich die Kinder, die große ängstliche Augen machten, und wichen ein Stück vom Feuer zurück.
Auch Dylan sprang auf und drehte sich um. Sein Herz begann zu hämmern, als er eine Gruppe Rotröcke in den Feuerschein reiten sah. Obgleich er nicht allzu viel über diese Gegend und dieses Jahrhundert wusste, erinnerte er sich doch daran, dass es noch gut hundert Jahre dauern würde, bis die Anwesenheit englischer Soldaten keine tödliche Gefahr mehr darstellte. Gemeinsam mit den anderen Mathesons wartete er ab, was der Captain zu sagen hatte. Iain Mór trat vor.
»Guten Abend«, grüßte der Offizier kühl und hochmütig. Iain gab keine Antwort. Einige der Männer begannen auf Gälisch miteinander zu flüstern, doch der Laird rief sie sofort - gleichfalls auf Gälisch - scharf zur Ruhe. Der englische Offizier mit dem blonden Zopf fuhr mit einer Stimme, die von guter Herkunft und Bildung zeugte, in der aber nicht ein Hauch von Gefühl mitschwang, fort: »Ich wollte Euch mein Beileid zum Tode Eures Vetters ausdrücken.«
Endlich geruhte Iain, etwas zu erwidern. »Ich bin überzeugt, dass Euch dieser Zwischenfall das Herz gebrochen hat. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun? Ich bedauere es aufrichtig, dass Ihr nicht zum Essen bleiben könnt, Captain Bedford.«
Dylan schrak zusammen, als er den Namen hörte, ließ sich aber nichts anmerken.
Der Captain ließ den Blick über die Reste der Mahlzeit gleiten und verzog angewidert das Gesicht. »Ja, ich bin untröstlich. Eines noch, Matheson«, er nickte in Richtung seiner gut bewaffneten Männer hinüber, »Ihr solltet vielleicht den Verkehr mit einigen Eurer Nachbarn einstellen. Wenn es noch mehr Ärger gibt oder mir neue Gerüchte über Verschwörungen und Handel mit gestohlenen Gütern zu Ohren kommen, dann sehe ich mich gezwungen, zu drastischeren Strafmaßnahmen als der Konfiskation von Land zu greifen. Es ist Eure Pflicht, Euch den Gesetzen der Königin und des Staatsrates zu unterwerfen, und ich rate Euch gut, Euch in Zukunft daran zu halten. Ich gedenke, hier für Ruhe und Frieden zu sorgen, Matheson!« Hier und da ertönte spöttisches Gelächter, und der Captain biss die Zähne zusammen. »Merkt Euch eines! Ihre Majestät wünscht Frieden, aber ständige Gesetzesübertretungen wird sie nicht dulden.«
Iain gab wieder keine Antwort. Eine Weile lang starrten die beiden Männer einander schweigend an, dann seufzte Bedford und gab den Befehl zum Aufbruch.
Sowie die Rotröcke außer Hörweite waren, ließen sich die Schotten wieder am Feuer nieder und machten ihrem Unmut auf Gälisch Luft. Dylan stellte überrascht fest, dass auch er einen tiefen Groll verspürte. Er blickte in die Richtung, die die Soldaten eingeschlagen hatten, und begriff mit einem Mal, was es bedeutete, in einem von fremden Truppen besetzten Land zu leben. Langsam verstand er, wie schnell und wie tief die Unterdrückten ihre Unterdrücker
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