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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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aufstoßen zu können, die sie voneinander trennte.
    Die Nächte waren kalt und lang, und die späten Abendstunden verlangten Dylan in zunehmendem Maße mehr Selbstbeherrschung ab. Belanglose Gespräche zwischen ihm und Cait wurden immer unbefriedigender, und er ging dazu über, ihr immer öfter aus dem englischen Gedichtband vorzulesen. Sie saß dann, in ihre Decke gewickelt, im Türrahmen, und er lag bäuchlings auf seiner Pritsche, das aufgeschlagene Buch auf dem Boden, die Kerze daneben, das Kinn auf die Matratze gestützt. Mit gedämpfter Stimme, die auf der Treppe nicht gehört werden konnte, las er ein Liebesgedicht vor, in dem der Poet versicherte, nur für seine Liebe zu leben und auch für sie sterben zu wollen. Dieses Gedicht hatte er ihr schon häufiger vorgelesen, und jedes Mal hatte es ihn stärker bewegt, aber heute deklamierte er die Worte mit mehr Inbrunst als je zuvor.
    Als er zu Cait hinüberschaute, sah er überrascht, dass ihre Augen in Tränen schwammen. Den Kopf hatte sie gegen den Türrahmen gelehnt, und sie wiederholte leise die letzte Zeile, doch ihre Stimme versagte, und sie schluckte hart.
    »Was hast du denn?«
    Cait schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich bin eine dumme Gans, ich weiß, aber mein Herz ist so voll, dass es überfließt.«
    Dylan stützte das Kinn wieder auf die Bettkante und betrachtete sie. Noch nie hatte ihn eine Frau so angeblickt wie Cait jetzt. In den Augen seiner früheren Freundinnen hatte er Freundschaft, Verlangen und manchmal auch echte Zuneigung gelesen, und dann war da auch noch Sarahs flehender Dackelblick gewesen, aber noch nie zuvor hatte er eine solche bedingungslose Hingabe gesehen wie jetzt in Caits Gesicht. Er wollte etwas sagen, fand aber nicht die Worte, um ihr klar zu machen, dass er ebenso empfand.
    Als Cait zu Bett gegangen war, fragte Dylan Sinann, ob er ihr einen Verlobungsring schenken sollte.
    »Einen was?« Die Fee hockte am Fußende seines Bettes und hatte seine schläfrig dahingemurmelte Frage anscheinend nicht verstanden.
    »Einen Verlobungsring. Man schenkt ihn der Frau, die man heiraten will.«
    »Ach so, so etwas wie das Unterpfand eines Eheversprechens. Ja und nein, würde ich in diesem Fall sagen.« Dylan runzelte die Stirn, woraufhin sie hastig erklärte: »Diese Sitte gibt es hier zwar auch, aber du solltest ihr trotzdem keinen Ring schenken. Sie ist nicht für dich bestimmt.«
    »Nehmen wir einmal an, du irrst dich.«
    »Ich irre mich nicht.«
    »Nehmen wir es nur einmal an.« Er stützte sich auf die Ellbogen, und seine Stimme klang hart, als er fortfuhr: »Nehmen wir an, sie willigt ein, mich zu heiraten. Dann brauche ich einen Ring. Eigentlich zwei, einen für die Verlobung und einen für die Hochzeit.«
    »Och, ich denke, ein Ring reicht völlig aus. In vieler Hinsicht ist ein Eheversprechen ebenso bindend wie die Zeremonie selbst. Wenn du teuren Schmuck verschenkst, wird man dich für einen Verschwender halten, und das vollkommen zu Recht, finde ich.«
    »Dort, wo ich herkomme, schenkt man der Frau zwei Ringe. Einer davon sollte mit Diamanten besetzt sein -nun, zumindest mit einem Diamanten.«
    »Wie kann ein reicher Mann wie du es nur ertragen, hier unter Bettlern zu leben?«
    Er sah sie böse an, ging aber nicht auf ihre Stichelei ein, sondern fragte nur: »Wo bekomme ich hier einen Ring her?«
    »Nirgendwoher. Noch nicht einmal Lady Matheson dürfte einfach so einen erübrigen können. Aber wende dich doch an den Dorfschmied. Wenn du etwas Silber auftreiben kannst ...«
    »Gold. Der Ring muss aus Gold sein.«
    »Du bist verrückt.«
    »Wo ich herkomme ...«
    »Wo du herkommst, da sind die Straßen wohl mit Gold gepflastert, was?«
    »Was ist denn mit meinen Münzen? Ich besitze inzwischen mehrere Goldstücke. Aus einem davon könnte ich doch einen Ring anfertigen lassen.«
    Sinanns Augen wurden groß. »Du willst eine ganze englische Guinee ausgeben? Und dazu käme ja auch noch der Arbeitslohn!«
    »Es muss ja kein schwerer, protziger Ring werden. Der Schmied kann das restliche Gold als Bezahlung für seine Arbeit behalten.«
    »Er wird dir einen Ring aus Eisen andrehen.«
    Dylan gab das unwillige Schnauben von sich, das er kürzlich den anderen Männern abgelauscht hatte. »Das wird er nicht tun. Nicht, wenn ihm sein Leben lieb ist.«
    »Also gut, du Narr, verschwende du nur dein Gold an sie. Aber ich kann dir jetzt schon sagen, dass die Sache ein böses Ende nehmen wird. Diese Frau ist nicht für dich bestimmt, du wirst schon

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