Vogelfrei
trugen nicht dazu bei, die beißende Kälte zu lindern. Sein Atem bildete kleine Wölkchen in der eisigen Luft. Jetzt, im tiefsten Winter, kam er bei seinen Übungen nicht nur nicht mehr ins Schwitzen, sondern musste sogar noch froh sein, wenn er dabei nicht zitterte wie Espenlaub. Er erwiderte: »Sie braucht jemanden, der sie liebt, sonst nichts.«
»Und du findest sie wohl so abstoßend, dass du ihre bloße Gegenwart kaum ertragen kannst, wie?«
»Unsinn. Ich mag sie. Sie ist eine gute Frau, und ihre Kinder ...«Er brach ab, schloss die Augen und blieb einen Moment still stehen, als er an den Zweijährigen dachte, der am Fieber gestorben war. »Ihre Söhne sind prächtige Jungen. Aber ...« Er verstummte, als sich die Turmtür knarrend öffnete und eine Frau die Halle betrat. Dylan konnte sie in der Dunkelheit nicht erkennen, doch als sie näher kam, sah er, dass es Sarah war. Wenn man vom Teufel spricht, dachte er.
»Lass dich von mir nicht stören«, bat sie und zog sich hastig in den Schatten zurück.
»Ich bin sowieso fast fertig.«
»Noch lange nicht, du Lügner«, tadelte Sinann.
Dylan warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
Sarah fuhr schüchtern fort: »Ich sehe dir gerne zu. Das ist ein hübscher Tanz, den du da einstudierst.«
Da er nicht wusste, was er darauf antworten sollte, beschloss er, das Thema zu wechseln. »Wie geht es dir heute, Sarah?«
Seufzend hob sie die Schultern. »Ich muss Tag und Nacht an meinen toten Jungen denken. Es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als ein Kind zu verlieren.«
»Ich kann mir nur schwer vorstellen, was du durchmachst.«
»Versuch es erst gar nicht. Zu viele von uns müssen schon mit diesem Schmerz leben. Viel zu viele.«
Eine lange Pause trat ein. Dylan hielt es für angebracht, sich zu verabschieden, ehe jemand kam und ihn allein mit Sarah in der Halle vorfand. Er schob sein Schwert in die Scheide, verbeugte sich und zog einen unsichtbaren Hut. »Ich empfehle mich, Madame, und wünsche Euch noch einen schönen Tag.«
Sie kicherte, als er zur Tür ging, und Sinnan zischte ihm zu: »Du bist doch ein jämmerlicher Feigling!«
Er hatte keine Ahnung, was die verdammte Fee eigentlich von ihm wollte.
Die Todesfälle in jenem Winter, die unwirtliche Landschaft und die allgegenwärtige Kälte, die kein Feuer mehr zu vertreiben schien, schlugen Dylan allmählich aufs Ge-müt, und er fragte sich, ob die Sonne je wieder zum Vorschein kommen würde. Jetzt verstand er, wieso die Menschen früher an Vampire, Werwölfe, Eisfeen, Riesen und Drachen geglaubt hatten. Die Winter in diesem Land waren lang und streng und brachten Hunger, Kälte und Krankheiten mit sich. Auf rationaler Ebene wusste Dylan natürlich, dass es außerhalb der Burg nur Schnee und Berge gab, trotzdem war er manchmal bereit zu glauben, dass dort in der eisigen Dunkelheit tatsächlich Monster lauerten.
So war er nicht sonderlich überrascht, als ihm an einem Tag im März, als er von seinen Schießübungen zurückkam, ein echtes Monster in Gestalt des englischen Captains hoch zu Ross begegnete. Dylan stand an dem Fluss, dessen Lauf er über vereiste Felsen und Wurzeln hinweg hinunter ins Tal folgen wollte. Doch Captain Bedford verstellte ihm den Weg und begrüßte ihn mit einem breiten, falschen Lächeln und einem betont freundlichen »Guten Tag«. Er machte einen wohlgenährten, gesunden Eindruck, was Dylan zusätzlich verdross.
Er erwiderte den Gruß nicht, sondern starrte den Offizier nur finster an und überlegte, ob er sich wohl an ihm vorbeidrängeln konnte, ohne sofort erschossen zu werden, oder ob er lieber in die entgegengesetzte Richtung flüchten sollte. Schließlich entschied er sich gegen beide Möglichkeiten und wartete ab, was Bedford von ihm wollte.
»Ihr seid der neue Matheson, wie ich hörte«, begann der Sassunach. »Der aus den Kolonien.«
Dylan schwieg noch immer. Von irgendwoher hatte Bedford Informationen über ihn erhalten, und er hätte nur zu gern gewusst, von wo.
Nachdem er eine Zeit lang vergebens auf eine Antwort gewartet hatte, fuhr der Offizier fort: »Ich kann mir gut vorstellen, was für einen Empfang Euch Eure ... Clansleute bereitet haben. Ein weiterer Mund, den es zu füttern gilt, ein weiterer Mann mit eigener Meinung, ein weiterer Bewerber um ihre Frauen. Sehr herzlich dürften sie Euch nicht aufgenommen haben.«
»Eure Sorge rührt mich, aber ich komme mit meinen Verwandten ganz gut zurecht«, erwiderte Dylan voller Spott.
Bedford lehnte sich zurück
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