Vogelfrei
und Schemeln und verfolgten das bunte Treiben. Die wehmütigen Klänge der Dudelsäcke erfüllten die Luft, untermalt von dumpfem, rhythmischem Trommelgedröhn, das an den heidnischen Ursprung dieses Festes erinnerte. Dylan spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief.
Ranald tobte wie immer lärmend und kreischend umher, doch an diesem Abend schien sich niemand daran zu stören, denn sein Geschnatter passte zur allgemeinen Stimmung. Überall wimmelte es von Kindern, die jedermann vor die Füße gerieten und dabei vor Lachen quiekten. Dylan fiel es noch immer schwer, die vielen Kinder ihren entsprechenden Familien zuzuordnen, obwohl er inzwischen jeden erwachsenen Bewohner des Tals beim Vornamen kannte.
Ihm quoll das Herz vor Freude über, als er begriff, dass er genau diese Atmosphäre immer gesucht und bei den Highland Games in Tennessee nie gefunden hatte. Er und seine Freunde hatten immer nur an der Oberfläche der alten Traditionen gekratzt und nie verstanden, woher sie rührten und weshalb sie überhaupt existierten. Aber nun lebte er unter Menschen, die mit Festen wie diesem ihr Gemeinschaftsgefühl stärken wollten. Und während er den tanzenden und singenden Clanmitgliedern zusah, spürte er auf einmal einen tiefen Frieden in sich aufsteigen. Er verstand jetzt die Bedeutung des Erbes, das ihm seine Vorfahren hinterlassen hatten. Seine lebenslange Suche war zu Ende.
Unter einer hohen Eiche stellten sich einige Männer in einer Reihe auf, unter ihnen Malcolm, der Dylan bedeutete, sich dazuzugesellen. Dylan hob abwehrend eine Hand, woraufhin Malcolm ihm noch einmal zuwinkte. Als Dylan immer noch keine Anstalten machte, der Aufforderung Folge zu leisten, ging Malcolm zu ihm hinüber, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich. Die anderen Männer begannen zu tanzen, und Malcolm und Dylan taten es ihnen nach. Alle waren von dem reichlich fließenden Ale und dem Whisky schon so berauscht, dass sie sich nicht gerade anmutig bewegten. Dylan hielt den Blick auf Malcolms Füße gerichtet und hoffte, niemand würde bemerken, dass er immer eine Spur langsamer reagierte als die anderen. Die Dudelsackklänge drangen ihm bis ins Mark und ließen sein Herz schneller schlagen. Da der Tanz einem appalachischen Holzschuhtanz ähnelte, den er als Junge einmal von einer Tante gelernt hatte, begriff er schnell, worauf es ankam, und begann, Spaß an der Sache zu finden. Als er einen erstaunten Blick von Cait auffing, musste er laut auflachen, und seine Füße wurden ein bisschen leichter.
Nachdem das Feuer heruntergebrannt war, fingen einige Leute an, darüber hinwegzuspringen; Pärchen, die einander bei den Händen hielten, und auch einige Frauen. Dylan hatte von diesem Brauch schon gehört und wusste, dass er ursprünglich Teil eines heidnischen Fruchtbarkeitsrituals gewesen war. Als Cait sich jedoch anschickte, den Sprung zu wagen, fuhr ihm der Schreck in die Glieder; verstohlen blickte er sich um und sah, dass sich auf vielen anderen Gesichtern ebenfalls Erstaunen abmalte. Zum Glück schaute niemand in seine Richtung, denn es war offensichtlich, dass Iain Mór nicht sehr erfreut darüber wirkte, dass seine unverheiratete Tochter über das Feuer sprang.
Sie nahm Anlauf, sprang und landete leicht stolpernd, aber sicher auf der anderen Seite. Rasch schüttelte sie ein paar Holzkohlestückchen von ihrem Rock, trat sie aus und blickte sich mit einem strahlenden Lächeln um. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen leuchteten vor Freude. Dylan hörte ein paar geflüsterte unmutige oder spöttische Bemerkungen, achtete aber nicht darauf. Cait war in einer solchen Hochstimmung, dass man ihr sicherlich ihr unüberlegtes Verhalten verzeihen würde. Und er selbst hätte sie am liebsten in die Arme genommen und sie vor aller Augen geküsst, damit das ganze Tal erfuhr, dass sie bald seine Frau sein würde.
Doch schon wurde er wieder in einen Kreis von Männern gezogen, die eine Art A-capella-Gesang anstimmten. Dieses spezielle Lied hatte er schon einmal während eines ceilidh gehört, es aber selbst nie gesungen. Ihm begann der Kopf zu schwirren, denn die einzelnen Silben wurden so rasch heruntergehaspelt, dass sie kaum einen Sinn ergaben, und der Refrain bestand aus einem Gewirr ähnlich lautender Zeilen, die von Mal zu Mal leicht abgeändert wurden. Das ganze Lied wurde mit geradezu mathemati-scher Präzision abgespult und würde vermutlich wie die meisten derartigen Gesänge zu einem abrupten Ende kommen. Dylan konzentrierte sich
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