Vogelfrei
darauf, einen Anhaltspunkt zu finden, an dem er sich orientieren konnte, und stimmte in den Gesang mit ein. Als das Ende kam, verstummte er genau zeitgleich mit den anderen Männern, die ihn überrascht ansahen und dann zu lachen begannen. Dylan grinste zufrieden. Sie hatten erwartet, dass er sich gründlich blamieren würde, aber er hatte es ihnen allen gezeigt. Malcolm klopfte ihm anerkennend auf den Rücken, und er zwinkerte dem älteren Mann vielsagend zu.
Danach wurde wieder getanzt, und diesmal beteiligte sich auch Cait daran. Dylan betrachtete sie verzückt: Nie war sie ihm schöner erschienen als jetzt, sie machte einen strahlend glücklichen Eindruck und tanzte mit einer solchen Anmut, dass Dylan den Blick kaum von ihr wenden konnte. Als der Tanz zu Ende war, trat sie wieder an die Seite ihres Vaters. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen funkelten wie dunkelblaue Saphire.
Den Ring, den er ihr geschenkt hatte, konnte er nirgendwo entdecken, was ihn nicht weiter überraschte. Er fragte sich, wo sie ihn wohl versteckt hatte. Obgleich er wusste, warum sie es nicht wagen durfte, ihn in der Öffentlichkeit zu tragen, ärgerte er sich über die erzwungene Heimlichtuerei. Seit er erwachsen war, hatte er immer wieder Freundinnen gehabt und sich irgendwann von ihnen - oder sie sich von ihm - getrennt, aber all das war immer nur eine Sache zwischen ihm und der betreffenden Frau gewesen. Und obwohl seine Mutter ständig versucht hatte, sich in sein Liebesleben einzumischen, hatte er ihr stets entgegengehalten, dass es sie nichts anging, mit wem er schlief, und hatte getan, was er für richtig hielt.
Aber hier im Dorf hatte jeder eine feste Meinung über jedes Pärchen und äußerte sich auch freimütig darüber, und für die engste Familie zählten bei der Wahl eines Partners hauptsächlich die Vorteile, die diese Verbindung mit sich brachte, und weniger die Gefühle der Beteiligten. Das war etwas, was Dylan an diesem Jahrhundert am meisten störte, mehr noch als die unablässige Kälte und diese lästige Fee.
Das Fest war noch in vollem Gange, als er bemerkte, dass Iain, Artair und Coll sich verabschiedeten. Malcolm war schon vor einiger Zeit gegangen. Iain nahm Cait am Arm, um sie nach Hause zu bringen, doch sie schüttelte den Kopf und deutete auf Dylan. Offensichtlich bat sie ihren Vater um die Erlaubnis, noch bleiben zu dürfen. Iain überlegte einen Augenblick, dann nickte er und verließ zusammen mit Artair und Coll die Feier. Dabei wechselte er mit dem Geschick eines professionellen Politikers hier und da noch ein paar Worte mit den Dorfbewohnern.
Wenig später verschwand auch Cait. Dylan ahnte, wo er sie finden konnte. Unauffällig zog er sich zum Rand der Menge zurück, die gerade ein paar Tänzer mit rhythmischem Klatschen anfeuerte. Einige Minuten lang drückte er sich dort herum, um den Anschein zu erwecken, als wolle er sich unter die Dorfbewohner mischen, doch sobald er die anderen hinter sich gelassen hatte, lief er eilends auf die Felsen am Rande der Hügelkuppe zu. Im Schutz der Dunkelheit blieb er einen Moment stehen und betrachtete das erlöschende Feuer.
Vom Abhang hinter ihm drang eine Frauenstimme an sein Ohr, und er fuhr erschrocken herum. Dann stieß ein Mann einen erstickten Grunzlaut aus, die Frau kicherte, und Dylan wurde neugierig. Wer versteckte sich dort im Dunkeln? Er bückte sich und spähte ins Dickicht, dann erkannte er die Stimme von Seonag Matheson, die leise auf denjenigen einsprach, der sie zum Kichern gebracht hatte. Dylan lächelte. Es freute ihn, dass die sonst so stille Seonag an diesem Abend so fröhlich war. Für gewöhnlich machte sie einen traurigen, verlorenen Eindruck, und er hatte sie nur selten lächeln sehen.
Als der Mann mit heiserer Stimme ihren Namen nannte, erkannte Dylan, dass er gerade Marc Hewitt und Seonag beim Liebesspiel belauschte. Vorsichtig zog er sich zurück und huschte die Böschung hinunter zum Ufer des Flusses. Dabei musste er ein Kichern unterdrücken. Er hätte nie ver-mutet, dass gerade diese beiden ein Verhältnis miteinander hatten; aus ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit ging das ganz gewiss nicht hervor.
Plötzlich raschelte es im Gebüsch vor ihm, und Caits Stimme flüsterte: »A Dhilein!« Er folgte dem Geräusch und fand sie unten am Fluss; Mondlicht glänzte auf den goldenen Haarsträhnen, die unter ihrer Haube hervorlugten. Sie raffte ihre Röcke, rannte auf ihn zu, warf sich in seine Arme und küsste ihn voller Leidenschaft. Er
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