Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen
Claudia trug ein enges Top und einen schmalen Rock, der sich bis kurz unter den Knien ihrer dünnen Beine entlangzog. Ihr aufgemalter Ausdruck ein trübtassiger. Ich schenkte ihr Kaffee ein, und ihre dünne Stimme presste ein leises «Danke» hervor, und ich nickte ihr zu und schenkte auch mir ein. Andächtig tranken wir in uns hineinschweigend und uns gegenübersitzend die schwarze Flüssigkeit. Blickten uns nicht an, uns verband lediglich der Moment des Schweigens, was ja eigentlich schon viel war. Viel für diese Zeit, viel für uns beide. Es gibt einfach Menschen, zu denen findet man keinen Weg, die findet man nicht mal interessant, wenn sie mit einer Zwergenmütze einen Gemüsegarten beackern oder mit einem Maschinengewehr Lochbilder in Betonmauern schießen. So eine war Claudia. Ich hatte keinen Zugang zu ihr, sie nicht zu mir, kein Magnetismus, nirgendwo. Da war nur dieses Nebeneinanderexistieren und die Akzeptanz der Tatsache, dass da außer einem selbst noch was anderes atmete. Wir schwiegen weiter, der Sekundenzeiger der Wanduhr beschattete unser Schweigen im gleichmäßig gelangweilten Takt und dann ging die Tür auf und Frau Braun schlich ins Zimmer.
Ja, sie schlich wirklich. Ihr Gang raubkatzenartig. So steckte diese elegante Frau von Mitte fünfzig in ihrer Kostümierung. Sie war unsere Chefin, die Filialleiterin dieses kleinen Buchladens, der einer etwas größeren Kette angehörte, aber sie lief nicht wie eine Chefin, sondern wie eine, die ihre Angst hinter ihrer Arroganz und Unnahbarkeit versteckte. Ihren feingliedrigen Leib umspielte ein brauner Rock, und ein grauer Mantel, den sie im Gehen ablegte, gab einen graublauen Rollkragenpullover aus elegant gesponnener Wolle frei. Ihre gespielte Leichtigkeit füllte den Raum mit Leben und auch Claudia wirkte sofort eine Spur wacher.
Frau Braun trug ihre Haare kurz und ihr Make-up dezent. Ihre großen blaugrauen Augen umspielte eine zart geschmiedete, schwarz geränderte runde Brille. Frau Braun wirkte immer wie eine ewig Weltschmerz tragende Kaputtperson in einem Superheldenkostüm, wie eine Frau, die eigentlich gebückter ihr Dasein fristen sollte, die sich aber jeden Tag dem Kampf des Alltags stellte. Sie war eine seltsame Person, die gute Braun, weil ihre Aura und ihr Gang nicht im Einklang waren. Stets schlich sie fast katzengleich lautlos im Laden um die Regale, um manchmal verstört vor Büchern stehen zu bleiben, um dann entweder an ihnen zu riechen oder sie kurz zu umarmen und dann zurückzustellen. Wenn ich das mitbekam, fand ich das immer ein wenig seltsam, ihr schien es ziemlich egal zu sein. Kommunikativ war sie gehemmt, außer wenn es darum ging, Kunden mit aufgesetzter Freundlichkeit die Spiegelbestsellerliste interessant zu labern.
Frau Braun, ja das war also hier so was wie unsere Chefin, nicht mit Dominanz, aber mit Erhabenheit ausgestattet. Sie grüßte distanziert mit einem Nicken und bediente sich am Kaffee, um dann hurtig in den Laden zu schleichen. Noch so eine komische Gangart: hurtiges Schleichen, aber Frau Braun war Spezialistin darin.
Claudia glotzte mich verpeilt an und ich guckte weg. Ein Hin- und Weggucken. Dann leerten wir beide in relativ synchroner Bewegung unsere Kaffeetassen, um uns ebenfalls in den Laden zu begeben. Schleichend, schweigend, kaum Geräusche erzeugend. Wir bewegten uns wie Menschen, deren Befindlichkeiten unerkannt bleiben sollen. Claudia ging zwei Schritte vor mir, ihr wohlgeformter Arsch tanzte und wippte so mädchenhaft beschwingt und das machte mir kurzfristig gute Laune.
Ich tendierte Richtung Computer, den ich ja vorhin schon eingeschaltet hatte, und ging stupiden Verrichtungen wie dem Abchecken von E-Mails von Großhändlern und dem Katalogisieren von Neuerscheinungen nach. Täglich wurde der Markt überschwemmt von unzähligen Neuerscheinungen und nicht weniger unzählige Verlage versuchten durchs Dickicht der Unauffälligkeit durch Profilierungen jeder Art auffällig zu werden. Manchmal gab es da wirklich Interessantes, sehr häufig aber waren gerade von Großverlagshäusern angebotene «Hits der Saison» oder «Frauenbücher für alle Altersklassen» einfach nur schnödes Wortejakulat und an Austauschbarkeit kaum zu überbieten.
Claudia machte sich an der Kasse zu schaffen und zählte in entspannter Langeweile und in gediegener Langsamkeit Wechselgeld. Ihr Blick war so stupide beim Anfassen und Fallenlassen des Bargeldes. Sie wirkte wie ein zu groß geratenes behindertes Kind, das zu
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