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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Zerbrechlichkeit symbolisierten. Es war der Weckton meines Handys. Jeden Morgen diese Zerbrechlichkeit, die ich so schön finde.
    Das Erwachen war gekennzeichnet vom gleichzeitigen Wunsch, in einer Tasse Kaffee zu Hause zu sein. Neben mir lag noch Woody Allen und intellektete mich von seinem Buchcover aus an. Dieser Blick. Diese Eulenbrille. All das machte mir ein schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht denken. Über mir hing eine Wolke, aus der immer noch Müdigkeit auf mich regnete, aber ich schaffte es, ihr zu entkommen. Ich hinterließ zerwühlte Bettwäsche.
    Es roch nach mir und nach Rauch und schon bald nach Kaffee in dieser Wohnung. Musik ließ ich aus und mich mit meinen Gedanken insoweit pur. Da waren aber keine konkreten Gedanken, außer eben jene, die mich in den Zustand versetzten, arbeitstauglich sein zu müssen. Mich der wunderbaren Welt des Buchhandels zu widmen. Ja, verdammt, ich verkaufte Bücher. Und häufig hasste ich mich dafür, denn das war so ein Job, der einem einfach so passierte, und ich hatte mich doch immer um Leidenschaft im Leben bemüht und eben nicht um das Unzufriedenheit steigernde Abgehänge in den pseudointellektuellen Gefilden einer Großstadtbuchhandelsfiliale.
    Wissen, Halbwissen, Theologie, Belletristik, Philosophie. All das in Regalen und davor befanden sich dann Kunden, die auf der Suche nach wahren, unterhaltsamen oder wissenschaftlichen Wortzusammenstellungen waren. So geht Buchhandel.
    Zwei Kaffeetassen und ungefähr dreißig Minuten später stand ich dann auch vor diesem Laden, in dem all die Bücher sich prostituierten. Die meisten von denen standen wirklich in den Regalen wie kleine Nutten, einige laut, andere leise, manche durch Farben oder Titel obszöne Angebote an die Leser ausstoßend, viele schon alt und die Mehrzahl stinkend.
    Ich war heute der, der den kleinen Laden aufschloss. Ich bin ja so aufgeschlossen, sagte der Buchladen, nachdem ich den Schlüssel gedreht hatte, und ich wusste, dass er log. Ich ging an der von vielen Menschen mit einem Kniefall bedachten Spiegelbestsellerliste vorbei, ließ sie rechts liegen und machte das Ladenlicht an. Neonröhren tanzten und zuckten und kurz darauf war der Laden in eine unangenehme Helligkeit getaucht. Ich ging an Bücherregalen vorbei, die mir ihre Schlauheit, ihre Erfahrenheit und ihr grenzenloses Wissen entgegenschleuderten, und dann machte ich Kaffee und dann sagte der Tag bereits: Hallo, ich habe dich gefangen und halte dich fest. Und gruseliges Grau wich der Faszination, aus der ein Leben an und für sich gemacht sein sollte.
    Die Kaffeemaschine würgte vor sich hin, schwarze schwere Flüssigkeit durch den Filter pressend, und ich fand noch einen Erdnusskeks. Ich genoss die tickende Zeit allein und der trockene Keks war eine entspannte und Nerven fütternde Mahlzeit. Der Keks war nicht mehr der frischste und so war das Geräusch, das er in meinem Gesicht verursachte, ein ziemlich mattes. Statt des zu erwartenden Krachens, das ich mir von diesem Keks erhofft hatte, gab es nur einen matschigen Sumpfton, der ohne Nachhall verklang.
    Bald würden die Frauen kommen, dachte ich so bei mir, und dann betrat auch schon die Auszubildende Claudia den Raum. Ihr Parfüm hatte sie schon angekündigt, bevor sie überhaupt in mein Sichtfeld getreten war. Claudia war jemand, die man fast bei jedem Anlass als overdressed klassifizieren konnte. Oder als fashion victim. Mode schien in ihrem Leben eine übergeordnete Wichtigkeit zu haben, noch vor Dingen wie Bildung oder guten Umgangsformen. Claudia war ein Mädchen, das dachte, man könne Stil anziehen. Und sie machte auch keinen Hehl daraus, dass ihr ihre optische Wirkung wichtig war, obwohl die Grundlage, aus der sie gemacht war, so viel Veränderung gar nicht nötig hatte. Sie war jemand, die sagte, dass ihr H&M zu billig und Esprit zu gewöhnlich sei, also trug sie ihr schwer verdientes Ausbildungsgehalt zu irgendwelchen Modehäusern und Edelboutiquen, deren Namen alle französisch klangen und somit den Wert der feilgebotenen Schneiderware allein dadurch steigen ließen. «Morgen.» Claudia gähnte sich in den Raum und hängte sorgfältig ihren Mantel an die Garderobe. «Morgen. Kaffee?» Auch ich verhielt mich ihr gegenüber und gerade morgens sehr einsilbig, das entsprach unserer Stimmung. Claudia kramte sich als Antwort eine Tasse aus dem oberen Hängeschrank und stellte sie neben die meine und setzte sich dann auf einen Stuhl. Sie roch nach Zigarettenrauch und Parfüm.

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