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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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weiter über Noten und Arrangements. In wild ausufernden Gesten und mentalen Verstrickungen. Langsam wurde aus Sarah und Kai eine sympathische Symbiose. Die beiden waren ein Ball aus Angeregtheit, lagen fast übereinander in ihrer Diskussionsfreude. Sie lachten laut, manchmal sogar in einer besoffenen Hysterie gefangen, und tauschten sich immer noch fachlich, aber zwischendurch auch fast partnerschaftlich persönlich aus.
    Caro und ich schwiegen kurz, wahrscheinlich auch wegen der Sache mit der Hand. Trotz immensem Besoffenheitspegel schämte ich mich ein wenig, einfach so ihre Privatsphäre durchbrochen zu haben, sie einfach so an Stellen berührt zu haben, die man nicht einfach so während einer ersten Begegnung berührte. Ich war auch berührt, und zwar peinlich. Aber Caro lächelte. Wir sahen, schweigend nebeneinander sitzend, wie Kai aufstand, extreme Schwierigkeiten dabei hatte, sein Gleichgewicht zu definieren, und einige Schritte lief, dann fast umfiel und die Tür zu seinem Schlafzimmer aufmachte. Sarah stand ebenfalls auf, ebenso sehr damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht zu halten. Sie taumelte auf Kai zu, der im Türrahmen stand. Caro und ich schwiegen weiter, ich machte mir eine Zigarette an, sie schmeckte scheiße, sie schmeckte ein wenig, wie ich mich fühlte, wie der dreihundertfünfzigste Schlag aufs Herz bei gleichzeitigem Ausgeliefertsein in Hilflosigkeit. Caro starrte versonnen in ihr Longdrinkglas und nippte ein wenig am Rand.
    Kai nahm Sarahs Hand und die beiden verschwanden in seinem Schlafzimmer. Er zerrte sie mit hinein, sie wackelte in Verbindung mit seinem Arm in anonymes Dunkel. Die Tür schloss sich, Geheimnisse, die eigentlich keine waren, sondern nur der Schutz vor zu viel dargelegter Intimität, präsentierten sich hinter der Tür.
    Ich bemerkte, wie Caro mich von der Seite anguckte; wie eine Maus im Tierversuchslabor, so schaute sie mich an, und ich traute mich nicht, sie anzusehen. Ich hatte regelrecht Angst, sie jetzt hier im Alleinsein anzusehen; ich kannte nicht die Konsequenz, die das eventuell mit sich führte, vielleicht zog sie mir den Boden unter den Füßen weg auf dem Weg zur Lächerlichkeit. Ich wusste nicht, was mich erwartete, wenn ich meinen Kopf in ihre Richtung drehte, also starrte ich auf Kais Schlafzimmertür und rauchte dabei, als ob es eine Art Ersatzkommunikation darstellte.
    Es dauerte keine halbe Minute, da brach im Nebenzimmer die sexuelle Revolution aus. Ich hörte Kais Bett, das anscheinend abhob und immer wieder mit immensem Gewicht auf den Holzboden krachte, und ich hörte Sarahs erregte Schreie, die sich anhörten, als bekäme sie keine Luft mehr. Sie brüllte rhythmische Tierlaute; eine Mischung aus brunftigem Hirsch und angeschossener Wildsau war das, und dazu hörte man die glitschige Empfangnahme eines Penis in einer Vagina. Das klang wie Kindersprünge in Pfützen. Ein erregendes Geräusch. Mein letzter Sex war mindestens zwei Jahre her, und jetzt fickte mein Freund in konsequenter Besoffenheit einen weiblichen Gast.
    Vielleicht kam sie ja öfter her, die Sarah? Vielleicht hatte Kai auch schon mal was mit Caro? Möglich wäre das ja, und der Gedanke daran war ein schmerzhafter, denn ich wollte nicht, dass sie Opfer seiner wahllosen Lustzerstreuung war. Das dachte ich so beim Starren auf die Tür, immer noch mit der Angst bestückt, Caro könnte irgendeine Peinlichkeit in mir auslösen, die mich oder die Hoffnung noch mal ihre schöne Hand anfassen zu dürfen zerstörte. Ich saß regungslos da, aber das, was in mir los war, erinnerte mich an Fernsehbilder, die ich damals gesehen hatte, als irakische Soldaten 1991 kuwaitische Ölquellen angezündet haben. Ich loderte meterhoch in den Himmel, war erregt und beschämt zugleich, ein ganz seltsames Gefühl. Es fühlte sich an wie Hunger und nichts essen zu können, weil sich die Nahrungsmittel, die man begehrte, hinter dünnen, aber bruchsicheren Glasscheiben aufhielten.
    Das Gebumse hinter der Schlafzimmertür eskalierte, eskalierte Sarah gerade, es klang, als würde Kai sie blutig bumsen, als würde er sie in die Ecke ficken, an den Rand rammeln. Der hörbare Sex klang, als würde das Verlangen immer mächtiger werden, jedoch das Zielobjekt der Begierde, nämlich Sarah, immer nebensächlicher. Es klang, als würde Kai sie zerstören, unnatürlich grob. Nicht vorhandene Zärtlichkeit, vielleicht grobmotorische Fäuste, die in ihr wüteten. Das fand ich jetzt fast wieder lustig, und ich musste lächeln,

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