Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen
Hübsches Gesicht, sehr viel Wert auf die Natürlichkeit ihrer femininen Ausstrahlung legend. Die großen Augen dünn vom Kajal umrandet. Das gab ihrem Blick ein wenig Mystik, ließ aber nicht das mädchenhaft Stolpernde aus ihm weichen. Sie war groß und dünn, trug einen Rock um die langen dürren Beine, deren Waden fast so dick wie die Oberschenkel waren. Das konnte man alles erkennen, der Rock war wirklich sehr kurz. Außerdem trug sie ein rotes Top ohne Aufschrift, unter dem sich ihre Brüste abzeichneten. Sie lächelte mich mit breitem Mund an und setzte sich dann zu Kai aufs Sofa.
Die andere stellte sich als Caro vor, etwas kleiner, etwas kompakter, eher ein lässiger, unscheinbarer Kleidungsstil, aber ihr eng geschnittenes T-Shirt gab zwei bunte, Interesse weckende Arme frei, die von Tätowierungen geschmückt waren. Außerdem hatte das Shirt die Eigenschaft, ihre formschönen Brüste exklusiv in Szene zu setzen. Caro trug ihre braunen Haare kurz und ihre blauen Augen interessiert. Sie lächelte, ein wenig kindliche Niedlichkeit ausstrahlend, in ihrer kleinen Hand hielt sie eine Flasche Wein, aus der sie sogleich einen großen Schluck sog, nachdem sie sich neben mich auf das Sofa hatte fallen gelassen. Dabei berührten sich unsere Oberschenkel auf eine nachlässige Art und Weise, die mir trotzdem gefiel. Mir behagte der ganze Zufall, der sich hier abspielte; ich war ein gefangener Besoffener, der sich in der guten Situation befand, verpflichtungslos in der Leere zu hängen. Ich war betrunken und sagte beiden Frauen meinen Namen, die ihn mit einem jeweiligen interessierten Nicken quittierten. Dabei hob ich die Hand wie ein idiotisches Schulkind, das noch keinen anderen Gruß beherrscht, als eben die Hand zu heben.
Ich grinste doof in den Raum beim Anblick der beiden Neuankömmlinge. Beide mischten sie die Karten dieses Abends neu, eröffneten dem Zeitvergehen neue Möglichkeiten. Schnell waren Caro und Sarah in die Männerrunde integriert, aber sofort bemerkte ich auch, wie zwischen mir und Kai der inhaltliche Tiefgang abflachte. Die Anwesenheit von Frauen ließ uns beide mit anderen Stimmen sprechen und in etwas oberflächlicheren Spähren unterwegs sein. Das Gespräch zu viert war trotzdem gut, der Alkohol ein Verbalisierungsmotor. Es wurde gelallt, gespuckt, gelacht und alle waren zu gleichen Teilen am Gespräch beteiligt.
Der Alkohol ließ meine Schläfen pulsieren. Wir tranken weiter. Caro hatte eine große Unterlippe, die sie beim Trinken und Rauchen stets verformte. Das sah gut aus. Und ihr ohnehin großer Mund redete dann noch große und gute Worte und ich mochte das.
Wir redeten über Musik. Eine wilde Diskussion über klassische Musik brandete los, die beiden Frauen kannten sich übrigens gut aus und Kai scheinbar von der Universität. Ich hingegen war in diesem Bereich nicht so sehr mit Fachwissen bestückt, aber mit immensen Gefühlswallungen, die ich über diese Diskussion gleiten ließ. Ich sprach über Klavierbögen, als würde ich täglich an nichts anderes denken, erzählte von Geigenfiguren, die imstande waren, mein Herz zu zerschießen, und verglich klassische Orchester mit klassischen Hardcorebands, für mich zählte nur die Leidenschaft der Klangergebnisse.
Sarah und Caro waren auch beide Studentinnen. Sarah studierte Kunstgeschichte und wie Kai Klavier, die beiden verband also die Leidenschaft für schwarz-weiße Tastaturen, und Caro studierte Philosophie und Soziologie, suchte also wie ich menschliches Durchkommen, nur auf wissenschaftlicher Ebene. Aber eben auch auf persönlicher, da hatte ja jeder seine Weltkriege zu bestreiten, der eine ließ sich mehr darauf ein, der andere weniger.
Kai legte, nachdem wir über den perfekten Popsong gesprochen hatten, die MGMT-Platte Oracular Spectacular auf. Er zappte sofort durch bis Track 5, Kids , für mich einer der perfektesten Popsongs, die ich kannte. Da das moderne Leben nicht immer tanzbar ist, sollten die Lieder unserer Zeit doch nachvollziehbarer denn je sein, sturzbachte es aus mir während der Pop-Diskussion, und Sarah meinte, der perfekte Popsong sollte wie das Leben sein, kurz und bündig und vor allem harmonisch. Das waren Worte, die ich mit meinem Leben nicht verbinden konnte, mein Leben dauerte an, zog sich manchmal wie zäher Schleim durch den Zeitstrahl, und Harmonie tat sich manchmal nur auf in Momenten wie diesen: gute Leute, alkoholische Getränke, Musik und dadurch gewonnene Unbeschwertheit. Dass dies aber nur Momente
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