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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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aus dem Fenster, dann wieder in meine Augen, dann wieder aus dem Fenster. Ich schaute aus Gewohnheit auf die Bettdecke und, wenn ich mich traute, in ihre Augen, und wenn unsere Augen sich begegneten, musste ich lächeln und an Klaus Kinski denken und an ihre Geräusche, die sie vor ein paar Stunden noch gemacht hatte, und an ihren weichen Arsch, der mir als Kissen gedient hatte, und ich dachte auch an Kai und Sarah, die nebenan vielleicht auch frühstückten oder vielleicht fickten sie auch schon wieder. Mir war alles ziemlich egal an diesem Morgen mit den zwei Kaffeetassen, so ziemlich alles, bis auf dieses bunte Mädchen, das sich so zauberhaft von den Sonnenstrahlen beleuchten ließ. Die war nicht egal, die sollte einfach nie mehr weg.
    Wir saßen eine Weile da und erzählten uns Belanglosigkeiten, und ich wünschte mir, die Belanglosigkeiten würden doch bitte aufhören, ich wollte weltumfassende Philosophie und geistige Reibung, aber vielleicht war das nach so einer Nacht zu viel verlangt. Was aber gut war: Caro machte keine Anstalten zu verschwinden. Sie blieb einfach sitzen, ließ sich von mir mit Kaffee und Broten versorgen und blieb sitzen, redete Belanglosigkeiten oder schwieg einfach und guckte aus dem Fenster.
    Es war bereits Nachmittag, als ich mich erneut in ihr versteckte. Der Kaffee und das nackte, belanglose Nebeneinandersitzen hatten unsere Blutdrucke emporgeballert, und so gaben wir uns erneut dem Trieb der Geschlechtsdramatik hin. Es war wundervoll, diesmal wollte ich aber von Kinski nichts wissen, und Caro setzte sich auf mich und freute sich über die Zärtlichkeit der langsam wachsenden Zutraulichkeit.
    Sie war jetzt einfach da, die Caro, der Nachmittag wurde Abend und sie war immer noch da, und ich versorgte uns mit Nahrung aus meinem Kühlschrank. Irgendwann sprachen wir gar nicht mehr, sondern schliefen einfach wieder ein und ich wachte auf und es war Nacht und Caro lag ganz eng bei mir. So schlich diese Nacht dahin, und ich war die ganze Nacht gefühlsschwindelig und die Geschwindigkeit meiner eigenen Gedanken war wie die des Lichts. Alles war einfach nur noch hell.
    Am nächsten Tag aber ging sie und riss ein Loch, wenn auch nur ein kleines, in meine Befindlichkeit. Als ich dann in meiner hellen Wohnung stand und einfach nur allein war, musste ich lächeln, lächeln über die Lächerlichkeit meiner Gefühle und die Konstanz meiner Hoffnung. Aber ich wusste, sie würde wiederkommen.
    In früheren Beziehungen hatte ich mich auch immer in einer Geschwindigkeit verliebt, die schneller als mein Herzschlag war, und der Liebesempfängerin war das dann auch meist zu rasant. Ich öffnete mich immer und ständig bis zur vollständigen Blöße, bis zur seelischen Nacktheit, manchmal schon nach Stunden. Aber jetzt war es anders, ich wollte warten, ich hatte Ruhe, die Ruhe und Sanftheit, die es braucht, um die Liebe mit vollem Volumen reinzulassen.
    Nachdem Caro weg war, legte ich mich wieder ins Bett. Zuvor hatte ich sanfte Klaviermusik von einem Klassiksampler angemacht, die jetzt langsam und zärtlich durchs Zimmer tröpfelte wie warmer, dünner Regen. Ich roch an meiner Bettwäsche, die nassgesext und durchgekörpert roch. Ich starrte an die Wand und fühlte mich wie ein Eisblock im Hochofen. Ich taute auf, langsam zwar, in unvermeidbarer Beständigkeit. Ich bin gefühlsschnell und finde das gar nicht so unattraktiv ...
    Morgen wollte sie anrufen. Ich hatte die Ruhe, sie meine Nummer, und die Musik befeuerte meine Träume.
    ***
    Tatsächlich rief Caro mich an, und wir waren plötzlich in einer Selbstverständlichkeit gelandet, die mir einfach nur guttat, die mein Leben frischer machte und erleuchtete. Ich hatte sogar den todesnahen Zustand meiner Mutter für die Momente mit Caro vergessen, ja fast sogar eingetauscht. Den alten Menschen gegen den frischen Menschen. Der hinderliche Mensch gegen den helfenden Mensch. Das löste beim genaueren Hindenken einige Schuldgefühle aus, die aber nicht so tief in mich gingen, als dass sie mich handlungsunfähig gemacht hätten. An dem Wochenende jedenfalls, als Caro bei mir war, war ich nicht in St. Anna bei meiner Mutter. Manchmal dachte ich kurz an sie und auch an meinen Vater, aber letztendlich war es der Glanz von Caro, der alles überstrahlte.
    Ich saß nun wieder hinten im Bus, auf dem Weg zu Arbeit, zu den Büchern, zu Claudia und zu Frau Braun in die Tristesse ihrer sozialen Unvergnügen. Die Stadt kam mir nach den gechillten Tagen in meiner Bude wie

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