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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Gefängnis, und ich bin doch eigentlich so frei, wie ich noch nie war, niemand ist da, der mich aufhält.» Sie hatte mich noch nie geduzt, und ich hatte ganz selten so flammende Augen gesehen wie in diesem Moment. Sie machte eine kurze Pause und schaute nervös um sich. «Außerdem brauche ich Spiritualität, was für den Geist, was zum Dranfesthalten für den Kopf, und so etwas gibt es hier nicht. Die Gefängnisse, in denen wir hier leben, haben wir uns selbst gebaut.» Wie recht sie hatte. Ich konnte natürlich nicht widersprechen, bemerkte aber sofort meine eigene Gefangenschaft, aber die Braun hatte auch diese im Visier. «Ich merke auch, dass du hier nicht glücklich bist. Das Leben ist so kurz und häufig ist es ein Arschloch, aber wenn du was in der Hand hast, dann deinen Standpunkt.» Krasse Ansage, dachte ich bei mir, und ich murmelte irgendwas, was sich letztendlich anhörte wie: «Ja, viel Glück dann auch, und ich werd mein Ding schon machen.» Ich wusste nicht mal, was mein Ding eigentlich war. Seit Caro da war, schien alles etwas klarer, alles hatte einen kleinen Konzentrationspunkt bekommen, aber so richtige Klarheit suchte ich seit langer Zeit und fand doch nur Unendlichkeit, die aussageleer vor mir hertrottete. Frau Braun ging dann ein paar Schritte von mir weg, nur um dann noch mal umzudrehen, um sich vor mich hinzustellen. Eine pathosaufgeladene Stimmung machte sich bemerkbar. Sie stand so nah vor mir, dass ich ihren Atem riechen konnte. Es war ein sehr neutraler Atem, absolut unauffällig und total passend zu der Person, aus der er herausströmte. Die Braun hob dann ein Sprechen an, eines, das man aus Filmen kannte, in denen es immer zentrale Aussagen gab, immer diese eine Schlüsselszene, die durch Musik und überbetonte Schauspielerei verstärkt in die Zuschauerköpfe Einkehr halten sollte. «Ich weiß nicht, was aus dem Laden werden wird, wenn ich weg bin, ich hab meinem Bruder gesagt, dass er ihn zum Verkauf anbieten soll.» Sie schwieg ein paar endlose Sekunden lang, um dann, unterstützt von einem fast weinerlichen Frauenblick, jenen Satz zu sagen: «Glück ist nichts Greifbares, sondern es überfällt dich meist von hinten, vor allem ist Glück auch nichts Planbares und es hat außerdem kein Gesicht, an dem man es erkennen könnte. Aber es wird dich finden, wenn du dich bewegst.» Theatralische Worte, denen ich nicht gewachsen war. Ich spürte, wie ich kleiner wurde, als die Worte mich erreichten. Dann drehte sie sich um, ein Hauch Erregungsstoff freies Parfüm glitt in meine Nase. Schwungvoll drehte sie ihren grazilen Buchhändlerinnenleib, da war ein Luftzug aus Allwissenheit und Kompetenz um diese Frau, und sie wusste, dass sie mich bewegt hatte.
    Frau Braun ging wieder zu einem Regal, sie tänzelte förmlich durch die kleine Buchhandlung. Mich ließ sie mit dem Gedanken allein, ein gefangenes Leben zu haben, eine Existenz im Käfig aus Pflichterfüllung und dem Geradebiegen meines Gewissens. Frau Braun hatte für diesen Tag meine Gedanken geschwängert, ihre Worte waren der Samen, den sie katapultiv in meinen Kopf geschleudert hatte und der dort Befruchtungsgelegenheit suchte. Solche Zeiteinheiten sind schlimm; du weißt nicht, was der Gedanke, mit dem du beschossen wurdest, in dir ausrichten kann, bist dir unsicher über die Tragweite der fremd erdachten Worte und fühlst dich wie ein schwangerer Elefant kurz vor der Entbindung, bevor du merkst, dass du vielleicht doch nur scheißen musst.
    Der Tag plätscherte dann wie zarter Frühlingsregen dahin, und ich verkaufte irgendwas von Hesse und lächelte dabei. Hinter diesem Lächeln sah es grausam aus, da war ein Schlachtfeld und ich kämpfte gegen die Überlegung, einfach schnellen Schrittes diesen Laden hier, in dem ich gefangen war, zu verlassen; einfach so zu tun, als sei ich ein Kunde, für den wohl nicht das Richtige dabei war, und rausgehen, raus in die Welt, mir da ein Eis kaufen und die Caro schnappen, um irgendwo hinzufahren und Tiere zu beobachten. Die Sekunden tickten, fielen unaufhaltsam auf den Boden, wo sie durch ihr Zerspringen die Unvernunft ungenutzter Zeit symbolisierten. Platsch, platsch, wie viel zu fette Wassertropfen benetzen die ungenutzten Zeiteinheiten deine Existenz, nur um sie irgendwann vollständig zu übernehmen.
    An diesem Nachmittag mit extremer Gedankenschwangerschaft im Endstadium betraten zwei Mädchen den Laden. Draußen hielt sich angenehm warmes Wetter auf. Die Mädchen plapperten vor sich hin und

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