Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen
dahinrottet. So einfach. Einfach so. Das Mädchen nahm sich ein Mädchenmagazin, eins mit Mode, blätterte darin und ihre Freundin kam dazu und beide machten ausdrucksschwache Gesichter, und dann stellte sie das Mädchenmagazin zurück und wortlos verließen die beiden den Laden. Ich schaute ihnen hinterher, wie sie vor dem Laden noch kurz innehielten, eine gewisse Wichtigkeit vorgebende, mit Intellekt aufgeladene Geste produzierend und rauchten. Sie rauchten wie richtige Frauen, weg vom Körper, in einer Eleganz, die gar nicht so sehr bei ihnen zu Hause sein wollte. Sie redeten schnell, und in gut aufgeteilten Sequenzen konnte jede von ihnen ihren Wortanteil darbieten, denn wenn die eine sprach, rauchte die andere oder fummelte sich an der wie zufällig platzierten Mütze herum. Irgendwann traten sie fast synchron ihre Kippen in den Asphalt und trotteten dahin. Ich fühlte eine Wehmut, dass sich manche Menschen so still in ihre Leiber zurückstecken müssen, während andere ihr Leben als Mütze tragen und hinlaufen konnten, wohin sie wollten. Trotzdem waren sie mir ähnlich, die Mädchen. Die Abgründe, wie gesagt ...
Der Tag floss dann dahin wie ein unruhiger Fluss im Nebel, den man besser hören als sehen konnte. Der Verlauf des Flusses war aber klar, er hatte die klare Bestimmung, sich über die Fläche des Tages zu wälzen, die Stunden wegzuspülen, den eingeschlagenen Weg zu begradigen, mich dadurch zu ermüden. Ich war kein guter Schwimmer, der einfach so die Richtung ändern konnte, und der Fluss riss an mir und machte mich zu einem Stück Treibgut, das willenlos im Flusslauf unterwegs war.
Am Abend wollte Caro mich besuchen, und als sie vor der Tür stand, kam da ein kleines Glück mit ihr in meine Wohnung. Es war so gut, sie zu haben, sie hatte da etwas in ihrer Ausstrahlung, was nach Sonne roch, nach frühlingshafter Unbeschwertheit. Sie leuchtete, immer leuchtete sie, aber nie in dem Maß, als dass man von ihr geblendet wäre. Wir hatten noch nicht viel über Partnerschaftliches gesprochen, aber ich bemerkte, dass sie gerne hier war, mit mir in diesen Räumen, und dass auch sie dadurch Abstand zu ihrem trägen Lebensfluss fand. Wir taten einander gut. Nicht nur beim Ficken.
Sie erzählte von ihren Studienproblemen, ich von meiner Arbeit, von der Ungewöhnlichkeit, die sich heute aus Frau Braun offenbart hatte, und ich redete über die Bilder, die dieser Tag in mich zu stanzen versucht hatte. Die Gewalt solcher Tage ist manchmal schwer zu ertragen, stellten wir fest und kümmerten uns danach um die Wiederherstellung eines Wohlbefindens in meinen Wohnräumen. Caro war auch ein trauriges Mädchen mit Abgründen, aber sie hatte sich entschlossen, diese mit mir zu teilen, mich zum Mitwisser ihrer Gefühlsströmungen werden zu lassen.
Ich bemerkte tatsächlich, dass wenn man Schmerz teilbar machte, ihn an einer Soll bruchstelle, die dann eine Darf bruchstelle ist, abbrach, dass er dann weniger wehtat. Wir führten Schmerzverdünnergespräche. Einfach mal Dinge teilbar sein lassen, die man sonst allein rumschleppt in seinem blöden Rucksack aus Charakterschwäche und Selbstmitleid. Die einfach mal abgeben können, das ist was Gutes, und Caro machte das ebenso. Sie teilte sich mir mit, in ihrer vollkommen authentischen Art, war leise und laut und traurig und lustig und gab viel von sich preis. Wir merkten aber beide, dass wir vorsichtige Leute waren. Wir präsentierten uns nicht unsere Kerne; unsere Intim-Ichs blieben weiter in uns, einfach auch mal zum Schutz vor Verletzungen, aber das, was wir uns gaben, das reichte uns aus, um einander zu verstehen.
Wie vollkommen korrekte Partner brieten wir Gemüsesorten in der Pfanne, schlichen uns damit vor den Fernseher, und als der Abend sich in die Nacht umgestaltete, gingen wir zu Bett, hatten ausgiebig Geschlechtsverkehr und hielten uns fest, bis wir eingeschlafen waren. Das war ein ganz anderer Schlaf als der, wenn man allein in einem Bett lag. Der wohltuende Partnerschlaf war dadurch gekennzeichnet, dass man sich das Geschöpf, neben dem man aufwachen möchte, schon vor dem Wegdämmern angucken konnte. Und Caros Geruch nach dem Sex war so einer, der einen langsam in den Tiefschlaf zog, so langsam, dass man es kaum erwarten konnte, wieder aufzuwachen, um wieder aktiv Zeit mit ihr zu verbringen. Klaus Kinski schwieg derweil ein ausdauerndes Schweigen, er war mein schweigsamer Freund geworden, der mir zusah, wenn ich meine Freundin von hinten fickte.
In dieser
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