Vogelweide: Roman (German Edition)

Feuer machen kann. Gut einspeicheln, dann durchkauen. Abkochen geht nicht. Kein Feuerzeug. Tatsächlich ist das Feuermachen verboten. Waldbrandgefahr. Und dann die Schuhe. Ihre, sagte er und zeigte auf Eschenbachs Schuhe, können sie gleich in die Hand nehmen. Gute Slipper. Ledersohle, rutschen Sie überall ab. Also auf Socken gehen. Die Füße sind schnell wund, blutig, voller Spleißen. Ihm war anzuhören, dass er mit Leuten, die einen elaborierten Wortschatz hatten, kampierte. Aus dem Oberleder der Schuhe kann man Mokassins machen. Vor allem, wenn man Slipper hat, so wie Sie. Die sind nämlich genäht. Einer der Teilnehmer hat in der Regel eine Lederjacke an. Die wird geteilt, das Leder ist für die Sohlen ganz vorzüglich, passt sich dem Wald- und Sandboden gut an. Und dann: Essbar ist fast alles, aber es gilt, die Scheu zu überwinden. Waldbeeren isst jeder. Aber das reicht nicht. Wir gehen ja jeden Tag, mit kleinen Pausen. Der Hunger wächst, wird von Tag zu Tag heftiger. Und da beginnt die Therapie. Man verändert sich. Drei Tage weigern sich alle, die Schnecken, die Käfer roh oder in Buchenblättern und mit Urin gebeizt zu essen. Am vierten Tage entdeckst du ganz neue Seiten an dir. Du hast schon drei Kilo abgenommen. Du bist hungrig. Du musst einfach alles essen.
    Eschenbach zögerte einen Moment, wollte schon sagen, noch waren wir nicht gemeinsam auf der Pirsch. Aber Harald fuhr fort, nun im verbindlichen Krankenschwesterplural: Wir sind hungrig, bewegen uns vorwärts, immer auf der Suche nach etwas, was wir essen können, wir sehen die Bäume, die Tiere, sie sind Freunde und Feinde, wir werden ein Teil von ihrer Welt, wir sind bei unseren Ahnen angekommen. Du riechst neu und genau. Du spürst deinen Körper als deinen treuen Begleiter, Hunger und Durst, was du trinkst und isst, hat einen Geschmack, von dem du vorher keine Ahnung hattest. Du schläfst im Regen, und es ist die Welt, die du nie gesehen hast. Wir in New Mexico warten auf den Regen, monatelang, jahrelang. Kommt er, legen wir uns auf den Boden und schließen die Augen. Was wir sehen, ist die große Welt, Sterne leuchten auf dem geschlossenen Lid. Das sind die Tropfen. Du träumst anders, du träumst intensiv, und vor allem, du wachst nach den Träumen auf und behältst die Träume vor Augen. Du bist du.
    Eschenbach fragte Harald, wo er das Deutsch gelernt habe. Aber Harald ließ sich in seinem Verkaufsgespräch nicht stören. Du siehst anders, genauer, du bist die Borke, befühl sie, das Moos, taste, trinke das Wasser im Bach. Die Namen der Farne, Kräuter, Bäume, sie bleiben in den Sinnen. Du denkst nur noch hin und wieder und von fern an Probleme, Termine, an Feindschaften, Ärger, du hast Hunger, du hast Durst, das leitet dich. Harald wechselte bei der Zusammenfassung des schon Gesagten, was bei jedem Verkaufsgespräch wie ein Appell am Ende stehen soll, in das höfliche Sie. Sie kommen zurück, und Sie sehen Ihre gewohnte Welt wie der Adler von oben, oder, in Ihrer Sprache, wie durch ein umgedrehtes Fernglas. Alles ist klein, fern, und Sie sind schlank, sechs Kilo weniger tragen Sie mit sich herum. Sie sind geschmeidig. Sie sind zu sich gekommen. Sie können wieder kämpfen. Es ist ein Überlebenskurs. Und dann sagte er nach einer kleinen Pause, in der er Eschenbach mit seinen grünen Augen musterte, Sie sehen übrigens sehr gestresst aus.
    Das ist gut möglich, sagte Eschenbach, erst heute Morgen habe er mit seinem Geschäftspartner eine Auseinandersetzung gehabt.
    Hoffentlich laut, fragte Harald.
    Ja, sehr laut.
    Das ist gut, sagte der Schamane.
    War Selma mit Ihnen auf, wie sagt man, auf einer Tour?
    Zweimal, sagte Harald und streichelte dabei die kleine Pelzpfote an seiner Halskette. Einmal in Amerika. Wir waren danach zusammen, so bin ich nach Deutschland gekommen. Ein gutes Land. Es gibt hier nur zwei Leute, die nach meiner Methode arbeiten. Mich und noch einen anderen Mann, einen Indio aus Kolumbien, war früher Kameramann. Er soll nicht schlecht sein. In den Staaten, er machte eine wegwerfende Handbewegung, gibt es jede Menge. Aber fast alle sind Scharlatane. Darunter viele Iren, die sich die Haare wachsen lassen und schwarz färben.
    Harald wurde von jemandem angesprochen, der mit ihm auf dem Pfad gewesen war. Pfad hieß es also. Der Mann trug den Arm in einer Binde und sagte, Harald, es war großartig. Und mit dem Arm geht es schon wieder.

    Im Wohnzimmer wurde getanzt. Er sah Ewald in geschmeidigen Bewegungen hinter der ihm