Vogelweide: Roman (German Edition)
ihren Hintern entgegenstreckenden Selma tanzen. Dass Selma gut tanzen konnte, überraschte ihn nicht, aber erstaunlich war, wie dieser sich drehende, kreisende, Begattungsbewegungen vollführende Ewald mit seinem hochroten Kopf den Tanz beherrschte.
Eschenbach wollte durch die Herumstehenden zu Anna vordringen. Sie stand an Selmas Werkbank im Gespräch mit einem jungen Mann, dem das Haar vom Kopf ans Kinn gerutscht schien, so kahl, so bärtig war er. Sie hatte während seines Gesprächs mit dem Schamanen immer wieder zu ihm herübergeblickt. Hilfe suchend, wie er glaubte. Er hatte sich eben an einer Gruppe vorbeigedrängt, da wurde er von einer jungen Frau in lila Bluse aufgehalten. Das mächtige blonde Haar stand ihr so wirr und aufgebauscht um den Kopf, als wäre soeben ein Sturm über sie hinweggefegt. Sie hielt Eschenbach am Ärmel fest. Er sei doch wahrscheinlich der Mann von Selma, jedenfalls so habe sie ihn ihr beschrieben.
Was heißt Mann, Freund, wollte er sagen, ließ es aber, da er nicht wusste, wie Selma ihn dargestellt hatte.
Die blonde Windsbraut stand in einer Gruppe von Frauen, die nur kurz ihre Unterhaltung unterbrachen und ihn genau musterten, dann aber wieder ihr Gespräch fortsetzten, in dem es um Erfahrungen ging, die man mit verbundenen Augen machen könne, wenn man erst Gegenstände, dann die in der Gruppe versammelten Personen abtaste, so eine Vibration, sagte die eine, unglaublich, hier spürst du es. Die Windsbraut war vom Sie sogleich zum Du gewechselt, sagte, sie habe einen Laden für Markenklamotten, secondhand, aber wirklich nur second, nichts Übertragenes – was für ein Wort, dachte er – und nicht älter als zwei Jahre, also nichts Muffiges, nicht mit dem Geruch von altem Talg, den auch die beste Reinigung nicht aus Kaschmir und Baumwolle herausbekommt. Das Jackett, das er trage, Größe 52, das sehe ich, wahrscheinlich Zegna , darf ich, und, ohne die Antwort abzuwarten, griff sie, der man mit dieser Sturmmähne nichts abzuschlagen wagte, ans Jackett, schlug die linke Seite zurück und las das Firmenetikett, Kiton , oh, oh, noch besser, also, und mit dem geschäftlichen Ton, vielleicht auch wegen der Marke, wechselte sie wieder zum Sie, wenn Sie den Schrank räumen, etwas Luft brauchen, kommen Sie zu mir, ich nehme die Sachen in Kommission, auch Schuhe, und sie trat einen Schritt zurück, schob ihn mit einem verbindlichen Lächeln ein wenig von sich und blickte ihm auf die Schuhe, er sah an diesem Abend zum zweiten Mal an sich herunter auf seine Schuhe, dann auf ihre, diese Überraschung, sie trug froschähnlich grüne Plastikschuhe, durchlöchert, und als sie in seinem Blick das Erstaunen sah, sagte sie, diese Schuhe sind wunderbar bequem und bleiben garantiert fußpilzfrei. Neben ihm war das Gespräch himmlisch geworden, da war von Engeln die Rede, die einen begleiteten, deren Namen man aber schon vorher wissen müsse. Aber woher? Woher, fragte eine grauhaarige Frau verzweifelt. Schuhe sind übrigens meine Spezialität. Sie haben sehr gute, Pferdeleder, lassen Sie mich raten, von Alden. Sind die bei Ihrer Größe nicht zu klein? Er wollte schon sagen, ja, er habe sie sich nach dem Kauf weiten lassen müssen. Aber sie wartete die Antwort nicht ab, sagte, Frauen kaufen in der Regel falsche Farben und falsche Schnitte. Das ist das Resultat von einem langen Suchen, einem langen Hin und Her, und nach einer Woche merken die Käuferinnen, es ist nicht das Richtige, fühlen sich darin nicht wohl. Die kommen dann in meinen Laden. Kleider, Kostüme, drei-, viermal getragen, dann landen sie bei mir, praktisch neu. Bei den Herrenschuhen dauert es immer etwas länger. Dafür sind sie musterhaft eingetragen. Früher gab es Leute, die gute Schuhe eingetragen haben, gegen Bezahlung, das war einmal ein Können.
Er hörte, hörte auch neben sich die Therapie durch Stimmgabeln, die kosmische Schwingungen wiedergeben und Ruhe, Ruhe, Ruhe in der Seele erzeugen, blaues Licht sieht der Träumende in der Nacht, sterndurchleuchtet. Er wollte zu Anna, die jetzt mit zwei jungen Frauen zusammenstand, deren eine einen Säugling auf den Rücken gebunden trug, Kopf und Arme ließ er wie narkotisiert hängen, wahrscheinlich war er kurz zuvor gestillt worden. Eschenbach winkte Anna, auch als Zeichen an die Windsbraut, dass er gehen müsse. Anna hob wie eine Ertrinkende die Hand.
Sie kaufen keine gebrauchten?
Was?
Schuhe?
Nein. Ich kaufe nur gebrauchte Bücher.
Das wunderte sie, und, um sie nicht zu
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