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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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können sich gar nicht wieder einkriegen. Jetzt übersetzt unser deutscher Sinologe nochmals dasselbe, diesmal blicken die Chinesen mich besorgt an. Ertragen sie keine Wiederholungen? Oder war es doch ein anderer Inhalt? Ich betone nochmals, wir könnten die Straßen mit Ginkgobäumen bepflanzen. Auch in Viererreihen. Ganz wie gewünscht. Ich hatte mir einen chinesischen Spruch herausgesucht, der vielleicht zur Entscheidungshilfe dienlich sein konnte, Konfuzius sprach: Der Edle geht unbeirrbar den rechten Weg; er ist aber nicht stur. Das wurde übersetzt, das Gesicht mit seinen Backen, Wangen konnte man nicht sagen, strahlte, ein Lachen, die Augen sehr schmal, alles lachte, aber das Wenige, was ich von den Augen sah, fixierte mich kalt. Es wurde getrunken. Auf ex und noch mal ex! Aber keine Zusage. Bis heute nicht. Wir wissen nicht, was er will oder was er nicht will. Wahrscheinlich ist noch ein anderer über ihm. Das ist der Turmbau zu Babel. Nicht wegen der Sprache, sondern wegen der Entscheidungskompetenzen. Du siehst, da kommst du mit deinen Algorithmen auch nicht weiter.
    Eschenbach sagte, das sei wohl wahr, da sei zu viel Macht und Schnaps im Spiel. Aber jetzt solle erst mal das Herz aufgeteilt werden.
    Er holte den großen Topf aus der Küche, stellte ihn auf den Tisch und spießte mit einer Poseidon-Gabel das Herz auf, schnitt es entzwei – die Pflaumenfüllung kam schwarzlila zum Vorschein, ein artifizielles Kunstwerk, das nur noch von fern an seine anatomische Herkunft denken ließ. Er schnitt von dem in seinem Saft gegarten Rinderherz Streifen ab, hellgraue, faserlose Stücke, legte sie Anna auf den Teller und garnierte die Backpflaumen darum.
    Der Rotwein, ein Côtes du Rhône, wurde eingeschenkt, und es wurde auf das Wohl aller getrunken.
    Sie hatten eben zu essen begonnen, rührten eifrig Messer und Gabel, da war, wie von Eschenbach bestellt, in die Stille hinein das Brüllen eines Löwen zu hören.

    Eschenbach erzählte von einem Freund, auch er Engländer, ein Literaturwissenschaftler, durch den er das Land erst richtig kennengelernt habe. Mit ihm sei er durch die Cotswolds gefahren: Die Wiesen, darin die Solitäre, mächtig, Eichen, die Landschaft leicht hügelig, das Grün, die dramatischen Wolken, Iron Bridge, die Kanäle, von irischen Tagelöhnern im 18. Jahrhundert ausgehoben und den Lehm mit bloßen Füßen festgetreten hatten. Erst die Kanäle mit all den Schleusen, sechsunddreißig allein in der Stadt Birmingham, ermöglichten die Industrialisierung, den Transport der Kohle zur Verhüttung des Erzes. Und die Ruinen von Kenilworth, bei deren Anblick Shakespeares Königsdramen erst verständlich werden, die Düsternis, die Größe, das Kriegerische. Seither war er immer wieder hinübergefahren, nach London, nach Cornwall, Devon, Schottland.
    Seitdem sammle er die Coronation Mugs. Ein wunderbarer Kitsch. Der reine Camp.
    Er stand auf und holte vier dieser Teebecher mit den Aufdrucken der Bilder vergangener englischer Könige und Königinnen und deren vergangener Ehen; nein auch, sagte Ewald, als er den Becher mit den Porträts von Prinz Andrew und der dickbackigen, rothaarigen Sarah sah und die von Glocken umrandete Schleifenschrift vorlas: To Commemorate Their Marriage 1986. Durch wie viele Betten ist die inzwischen gewandert.
    Die meisten Mugs, sagte Eschenbach, hätten ihm die beiden englischen Freunde geschenkt, darunter so seltene Stücke wie die von Edward VIII., nie gekrönt, die Tasse aber zeige eine im Porzellan erhabene Krone. Eine Art Blaue Mauritius unter diesen Tassen. Auf ihn, den englischen Freund, den Ethnologen, müssen wir anstoßen, der jetzt ein Forschungsprogramm für die gefährdeten kleinen Sprachen in Europa betreut, in Paris, bei der UNESCO.
    Sie saßen, sie lachten, sie tranken, lobten, Anna und Ewald stießen auf Eschenbach an, auf den englischen Freund, und Selma, sie sang für ihn, den Koch, und für das Herz mit der Pflaumenfüllung eines ihrer polnischen Volkslieder, in dem einer Gans der Hals umgedreht wird.

    Später, Ewald und Anna waren gegangen, sagte Selma, sie habe die beiden beneidet, wie und was die von ihren Kindern erzählten. Und dann habe Anna ihr gesagt, dass sie und Ewald noch ein drittes Kind wollten. Das passe vom zeitlichen Abstand nicht ganz so gut zu den beiden anderen Kindern. Anna ist ja auch nicht mehr so jung.
    Eschenbach befürchtete, dass sie jetzt, weit nach Mitternacht, wieder ihren Wunsch nach einem Kind mit ihm diskutieren wollte.

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