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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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heruntergelassen wurde, den Stühlen und Tischen auf der Straße, der ovalen, mit einem polierten Messingrohr umrandeten Bar, dem gedämpften Licht am Abend, den rechteckigen kleinen Tischen, die Nähe ermöglichten, leicht waren beim Reden die Hände zu berühren.
    Sie fragte ihn nach der Arbeit seines Büros, was er da mache, das sei für sie Hekuba. Ich kann Ewalds Arbeit meinen Schülern erklären, auch die von Selma, aber nicht deine. Die Vorstellung versagt.
    Wir untersuchen die Rationalisierung des Kaffeekochens.
    Sie sah ihn fragend an.
    Das Kaffeekochen ist ein gutes Beispiel, das gilt für alles, was wir da treiben. Wer Kaffee kocht, nehmen wir den Oma-Kaffee, kann es schnell oder langsam tun. Alle Dinge müssen vorbereitet und aufeinander abgestimmt sein. Wasser auf die Heizplatte stellen. Mahlen der Kaffeebohnen. Anwärmen der Kanne. Filterpapier auf den Filterhalter legen, den Filterhalter – sie lachte – auf der Kanne platzieren. Kaffee mit dem Löffel einschütten, kochendes Wasser darübergießen. Das kann schnell und koordiniert gehen oder umständlich und langsam. Du kennst die Leute, die zwei Spiegeleier machen wollen, eins rollt ihnen vom Küchentisch, das andere läuft in der Pfanne aus, sie suchen nach der Bratenschaufel, aber inzwischen ist das Ei festgebacken. Man könnte, um das zu verhindern, genau berechnen, jeden Handgriff und die Neigung des Küchentisches. Das ist leicht und einfach, aber die Koordination, sagen wir, für den Bau eines Hochhauses, ist eher kompliziert, weil so viele Determinanten aufeinander abgestimmt werden müssen. Allein die Anfahrwege für den Beton müssen genau berechnet werden, Länge der Straßen, Verkehrsaufkommen, dann Dauer der Schüttung etc. So etwas in der Richtung. Das gilt auch für das Kinderkriegen, wenn man Kinder oder keine haben will. Das ist eine Mischung aus Wahrscheinlichkeitsrechnung und genauer Datierbarkeit.
    Sie lachte und fragte ihn, ob er Kinder habe.
    Ja, eine Tochter, die ist schon erwachsen.
    Und was macht sie?
    Sie bewegt Geld.
    Wie das?
    In der Bank, als Trainee. Sie hat Volkswirtschaft studiert.
    Seht ihr euch oft?
    Hin und wieder. Sie ist momentan in London. Alle Welt ist in London, wenn es um Geld geht.
    Sie wollte wissen, wie er zu dieser sonderbaren Firma gekommen sei, und er erzählte ihr von seinem Studium der evangelischen Theologie, dem Abschluss mit dem Ersten Theologischen Examen und seiner Entscheidung, nicht Pfarrer zu werden, danach ein Soziologiestudium, abgebrochen, viele Abbrüche, sagte er. Er habe dann mit seinem Freund Fred eine Software-Firma gegründet.
    Das interessierte sie weniger als der Grund, warum er von der Fahne mit Lamm und Kreuz gegangen sei.
    Die Fahne werde mehr von der Konkurrenz, den Katholiken, hochgehalten. Aber die Frage bleibt. Und die Antwort sei einfach, ich wollte glauben, konnte aber nicht. Vergleichbar mit deinem Malen. Das Entweder-Oder. All die Konstruktionen, die seit Kierkegaard diskutiert werden, um zu retten, was zu retten ist, von dem notwendigen Zweifel und dergleichen, sind Ausflüchte. Sein Paulus-Erlebnis, das ihn vom Glauben abgebracht hatte, war ganz undramatisch, an einem Nachmittag, kein depressiver Himmel, grau und tief hängend, als könne man einen Nagel hineinschlagen, nein, ein blauer Himmel mit ein paar Wölkchen, wie hingetupft, und da plötzlich dieses tiefe, gefühlte, ja, gefühlte Wissen, Gott ist nicht. Draußen waltet eine wunderbare Gleichgültigkeit. Wunderbar, weil sie uns frei macht.
    Ich, sagte sie, glaube. Ich darf glauben.
    Das Darf , sagte er, ja, so ist es, mir war es nicht gegeben.
    Vielleicht wird es einmal sein.
    Ich glaube nicht. Ich gehöre zu den Zweiflern und Ungehorsamen. Das Alte und Neue Testament sind voll von ihnen. Die niederzuringen, darum geht es in den Erzählungen.
    Welchen Gestalten aus dem Alten Testament würde man gern begegnen? Hiob?
    Ja.
    Noah?
    Eher nicht. Wahrscheinlich engstirnig und ehrpusselig.
    Von den Propheten?
    Jonas. Wenn er wieder Zeit habe, wolle er über ihn schreiben. Seit Jahren sammle er auf Reisen in Kirchen und Kapellen die Darstellungen von Jonas. Früher sei er mit diesem Ziel in Italien, Frankreich und Deutschland herumgereist, er wollte in Kirchen die Darstellungen von dem Propheten Jonas, diesem Neinsager, sammeln. Auch in kleinen und kleinsten Kapellen finden sie sich, die Bilder von dem Wal, der einen Mann an Land spuckt. Hoffnungsträger der Auferstehung, aber das ist die Ahnung, die vielen nicht einmal

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