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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Altbauwohnungen, renovierte, sagte sie, und dann dieses ständige laute Nä, nä, irre, nä, hat er gesagt, nä. Die Frau war nicht dumm, redete aber in einer stupiden Geläufigkeit über Bestwohnlagen und Parkettwertsteigerung, redete, und das verstärkte seinen Hass, wie die Ehefrau seines Kompagnons Schwalm, redete ähnlich laut und aufdringlich. Ist doch aus, nä. Scheißegal, nä. Sie redete laut, den großen Raum des Wagens ausfüllend, er hätte sie schlagen können.
    Eine Todfeindschaft kam mit diesem Nä in die Welt.

    Er musste dann, obwohl er sich dagegen zu wehren versuchte, an seine Tochter denken. Auch ihre Stimme hatte diesen hellmetallischen Ton. Er hätte vielleicht öfter zu Sabrina sagen müssen, sprich tief. Vielleicht war diese Stimmlage aber auch notwendig in ihrem Beruf, um sich Gehör zu verschaffen, um sich durchzusetzen. Dieses Durchdringende, dem man entweder zuhören oder sich durch Platzwechsel entziehen musste. Er hatte es auf seinen Reisen mehrmals erlebt, dass er, wurde telefoniert, nicht weghören konnte, zugleich aber mit steigendem Unwillen den Geschäftsblödsinn verfolgte. Er hatte sich dann im Zug einen anderen Platz gesucht, war sogar hin und wieder in die zweite Klasse gewechselt, weil dort gelesen oder am Computer gespielt wurde. Die meisten jungen Leute hatten sich die Ohren verstöpselt und sich damit von der Außenwelt abgeriegelt, dösten oder hantierten am iPod. Später, nach dem Sturz, fuhr er nur noch in der zweiten Klasse, wo es, außer am Wochenende und in der Zeit der Bundesligaspiele, erstaunlich ruhig war, die Leute lasen, ältere Frauen blätterten in Illustrierten, lösten Kreuzworträtsel, aßen die mitgebrachten Stullen, Kinder zeichneten, drüben saß ein Mädchen über Derrida gebeugt, genau so: gebeugt und ihm hingegeben.
    Hatte er je in der ersten Klasse jemanden einen philosophischen Text lesen sehen?

    Kurz nach dem Besuch bei Anna und Ewald hatte er nach Paris zu einer Verhandlung mit einem Speditionsbetrieb fliegen müssen. Diese Firma transportierte Container von und nach China und hatte erhebliche logistische Probleme. Die Verhandlungen konnte er schnell mit einem Vertrag abschließen und hatte, da ein Hotel für die Nacht gebucht war, Zeit, den englischen Freund zu treffen, der mit einem Forschungsauftrag von der UNESCO für zwei Jahre in Paris wohnte.
    Der Freund schlug eine Brasserie vor, im 7. Arrondissement, einfach und gut. Vor allem die Weine. Der Wirt hatte sich auf Burgund spezialisiert. Seine Frau kommt aus dem Senegal, tiefschwarz, eine Frau, einfach unglaublich.
    Wie?
    Schön, sagte der Freund, die Figur, die Haltung, und die Haut ist wirklich Samt.
    Ist oder wirkt wie Samt?
    He, he, du Sophist. Ich, sagte er, darf so etwas als Ethnologe sagen, sozusagen mit dem Bewusstsein, gegen alle guten Sitten zu verstoßen. Aber ich scheiße auf das Korrekte, seit von Afro-Niedersachsen die Rede ist. Also sie ist eine wunderschöne Frau.

    Die Frau, der Freund hatte nicht übertrieben, empfing sie, begrüßte den Ethnologen mit einer erstaunlich langen, eng tastenden Umarmung und ging dann voran zu dem für sie vorgesehenen Tisch. Zwei durch eine Holzwand abgeteilte Räume. Eingerichtet mit ausgewähltem Sperrmüll. Bilder, Plakate an den Wänden. Auf einem umlaufenden Bord alte Kaffeemühlen und Bücher. Eschenbach studierte sie.
    Lohnt sich nicht, sagte der Freund, fast alles Müll. Wenn mir ungefragt Bücher zugeschickt werden, trage ich sie aus der mir eigenen Hemmung nicht zur Mülltonne, sondern hierher.
    Ist das Müll, fragte Eschenbach und hielt ihm ein schmales, hellbraunes, an den Rändern ausgeblichenes Buch hin. Apollinaire Calligrammes .
    Du solltest Goldsucher werden.
    Ich bin ein Strandläufer, wie du weißt.
    Jedes Mal, wenn sie am Strand von Amrum entlanggelaufen waren, brachte Eschenbach ein Fundstück mit, bückte sich immer wieder und warf das Gefundene, Muscheln, Steine, Holzstückchen, wieder weg. Der Freund bückte sich nur selten und schenkte ihm, was er fand, oft Erstaunliches, Bernstein oder Schneckengehäuse, vom Wasser und Sand in winzige weiße Wendeltreppen verwandelt.
    Jetzt hielt Eschenbach das Buch unschlüssig in der Hand.
    Steck es ein!, sagte der Freund.
    Gut, ich gebe ein ordentliches Trinkgeld.
    Er kam so zu sitzen, dass er in den durch die Holzwand zur Hälfte abgetrennten Nebenraum blicken konnte, in dem nochmals vier Tische standen und dahinter in der einen Ecke eine Sitzlandschaft, ein Sofa, zwei schwere

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