Vogelweide: Roman (German Edition)
zusammenreißen.
Du kannst deine Geschäftsprobleme nicht mit in den Abend schleppen. Es war der Moment, als er überlegte, ob er Selma nicht alles erzählen, ihr, wie sie sagen würde, sein Herz ausschütten sollte. Und er hatte vor Augen, wie all die geheimen Wünsche und all die Halbwahrheiten herauspurzeln würden.
Würde man nicht sowieso ihm und Anna, spätestens wenn sie zusammentrafen, die erlebte Nähe ansehen?
Das Haus stand an der Havel. Ein Neubau. Ewald hatte es vor vier Jahren nach seinem Entwurf bauen lassen. Ein großzügiges, in der Tradition des Bauhauses konzipiertes Gebäude, weiß, mit gut proportionierten Fenstern, Türen und einer Terrasse mit Blick auf das Wasser der Havel, die sich hier zu einem kleinen See weitete. Das einzig Merkwürdige, was so gar nicht in das Bild passen wollte, war ein im Garten seitlich gelegener kleiner Bau, einem Bunker ähnlich, wahrscheinlich eine Garage.
Sie wurden am Gartenzaun von den beiden Kindern empfangen, die ihnen die Pforte öffneten und sich ganz manierlich vorstellten, die Hand gaben und sie ins Haus führten, wo Ewald und Anna standen. Anna, die bemüht an ihm vorbei und zu Selma blickte, wurde leicht rot, auch waren ihre Bewegungen ungewohnt hastig, wie auch ihr Sprechen, ein Silbenverhaspeln. Er empfand für einen Augenblick – es war keine lautere Empfindung – den Reiz, der von gestrauchelter Tugend ausgeht, und sich selbst als glückhaften Sieger. Es war, als hätte sie seine Gedanken gelesen, so schoss ihr die Röte ins Gesicht. Es ist heiß, sagte sie und umarmte Eschenbach kurz, hakte sich dann sofort bei Selma ein, führte sie in das Wohnzimmer, einen großen, hellen, sparsam eingerichteten Raum.
Eschenbach hatte Ewald mit einer etwas konfusen Frage in ein Gespräch und von den beiden Frauen fort gezogen: Was ist das für ein Ding da draußen?
Was für ein Ding?
Dieses Haus im Garten. Eine Garage oder was?
Ein kleiner Bunker, sagte Ewald, ein Bunker aus dem letzten Krieg. Hier stand eine alte Villa, war ziemlich heruntergekommen. Vom Schwamm befallen. Ich habe das Haus abreißen lassen. Der Besitzer hatte sich während des Kriegs den kleinen Bunker bauen lassen. Und dann ist in der ganzen Umgebung nie eine Bombe gefallen. Jetzt benutze er den Bunker, der gut gelüftet sei, als Weinlager und verhieß, zwei Flaschen vom roten Bordeaux atmeten bereits und der weiße sei kalt gestellt.
Ole, ein großer, kräftiger Junge von zehn Jahren, hatte Fragen an Eschenbach, wollte wissen, wie er seinen Computer für die Fotobearbeitung nutzen könne. Er hörte dann aber, als Eschenbach es ihm erklärte, nicht richtig zu, war daran nicht wirklich interessiert. Offensichtlich hatte Anna den Jungen instruiert, um die Peinlichkeit des anfänglichen Herumstehens und des Floskelaustauschs zu verkürzen.
Ewald führte Selma und Eschenbach durch das Haus, zeigte ihnen die Bibliothek, in der ein maßstabgetreues Modell des Kolosseums stand. Eine Arbeit, die er nach seinem Praktikum in einer Tischlerei gemacht hatte. Er zeigte die Kinderzimmer, das Schlafzimmer, in dem, es war ein Schock, Eschenbach das übergroße Ehebett sah, von Ewald eigenhändig getischlert und gut verfugt mit einer Kopfleiste, auf der Bücher lagen, ein Journal, darüber kleine, an biegsamen Halterungen angebrachte Punktstrahler. Neben dem Bett ein langer Schrank, der in einem matten goldenen Licht Bett und Raum spiegelte.
Selma fand den Spiegel wunderbar, mutig, sagte sie leise beim Hinausgehen zu Eschenbach, der Bilder vor Augen hatte, verwirrende, in denen beides ineinander überging – Erregung und Eifersucht.
Anna zeigte Selma und Eschenbach, ohne ihn dabei anzusehen, die Bilder, die sie gesammelt hatte, stolz war sie besonders auf zwei Collagen von Cy Twombly, den sie für sich entdeckt und vor Jahren, als er für sie noch bezahlbar war, gekauft hatte. Die achtjährige blonde Lisa schmiegte sich an Anna, die zärtlich den Arm um sie legte, dabei fortfuhr, man merkte ihr die Kunstlehrerin an, die Bilder zu erläutern, wie wunderbar sie die Zusammenführung von Farbe, kleinen Bildzitaten und Schrift finde. Es ist das Geheimnis der Zeichen, die ja Bilder werden wollen. Das Blau in dem Bild eines Bibers und die Aufschrift Castor albicus , die auffahrenden grünen, wie Laub sich verdichtenden Schraffuren.
Das Au-pair-Mädchen, eine Finnin, kam, um die Kinder ins Bett zu bringen, aber vorher sollte Ole noch auf der Klarinette etwas vorspielen.
Nee, hab keine Lust. Er verzog
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