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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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nur drauflosredend erlebt. Er redete, redete über die geschäftlichen Strategien, aber mit Ausflügen ins Allgemeine, verbreitete seinen Meinungsmatsch, wenn er wieder einmal inbrünstig verlangte, alles in private Hände zu überführen, Wasser, Müllentsorgung, Schulen, über die Gewerkschaften redete, die er, weil so spießig und bürokratisch, hasste, tatsächlich war es ein Hass, der aus der eigenen Gefährdung entsprang. All das, was er sich erarbeitet hatte, Haus in Zehlendorf und Häuschen auf Sylt, könnte gefährdet sein.
    Und dann lag, was Eschenbach besonders hasste, ein ständiges, mokantes Grinsen auf diesem breiten Mund. Jedes Mal wieder fragte er sich, ob dieses Grinsen auch dann anhielte, wenn er ihm eine aufs Maul hauen würde. Was Eschenbach in den Diskussionen der Nase entgegnete, war nie so schlagend wie das, was die Nase zuvor gesagt hatte. Hätte er sich wenigstens damit trösten können, dass der Mann unerträglich dumm sei. Aber das war er nicht. Er redete auf den Sitzungen in endlosen Schleifen, immer gut informiert, immer gut artikuliert. Ein strategisch denkender Mensch, der ihm, als er ihn erstmals traf, auf Anhieb unsympathisch war. Sie blickten sich an und wussten, dass sie einander nicht mochten, nein, es war eine tiefe Ablehnung, etwas, was sich gegen alles, gegen die ganze Existenz des anderen richtete. Ein Hass zunächst ohne genauen Anlass. Dieser ungezügelte Hass, der sich bei ihm gegen bestimmte Menschen einstellen konnte, war im Studium ein Grund seines Zweifels gewesen, ein guter Seelsorger werden zu können. Dieser Mann, die Nase, war ihm körperlich zuwider. Der Wunsch, der andere möge verschwinden. Sich auflösen. Ein Autounfall. Er sah den Salbadernden mit seinem Porsche, die Nase fuhr einen grässlich grünen Porsche, aus der Kurve fliegen. Er staunte über sich selbst, genoss aber das Bild. Den Wagen um eine solide Linde gewickelt. Nein, keine Linde, nicht der Baum des Lebens. Eine Pappel. Diese Bürstenbäume. Dennoch, die Pappel sollte nur leicht beschädigt sein und, obwohl sie die Nase beseitigt hatte, weiterwachsen. Er versuchte, sich zur Ordnung zu rufen, ganz wörtlich, er sagte zu sich, der Mann verhält sich dir gegenüber korrekt. Er mag dich so wenig wie du ihn. Du hast ihm nichts vorzuwerfen. Doch. Ich werfe ihm vor, dass er da ist. Dass ich ihn ertragen muss. Auch er muss dich ertragen. Vielleicht hat er ganz ähnliche Wünsche, sieht dich mit deinem roten Saab im Straßengraben. Der Gedanke beruhigte ihn jedes Mal. Er musste über sich selbst lachen. Über diesen kindlich albernen Zorn. Aber dann hatten sie eine ihrer Strategiebesprechungen, und die Nase versuchte wieder mit wortreicher Perfidie, ihre Interessen durchzusetzen. Bleib ruhig, sagte er sich, aber das machte ihn noch unruhiger, noch wütender. Nach solchen Sitzungen musste er manchmal das Hemd wechseln.
    Kein Trost war, dass seine Abneigung von den meisten im Büro, was er buchstäblich im Vorbeigehen hören konnte, geteilt wurde. Das gab seiner Empfindung etwas von der Banalität der Meinungsmehrheit. Selbstverständlich hatte er nie mit anderen, abgesehen von Fred, seinem Partner, über die Nase gesprochen.
    Eine Zeitlang schwankte er in der Anrede, sollte er ihn duzen, wie sich alle im Büro duzten? Er verbot es sich. Mit Vornamen ansprechen und ihn siezen? Auch das war ihm zuwider. Er hatte es ein paar Mal ausprobiert. Dann entschloss er sich, ihn mit Herr Schwalm anzureden. Der Name war wie die Hand, feucht klebrig, als habe sie eben gewichst. Er betonte Herr, machte eine Pause und betonte dann Schwalm auf dem L, was sich fast wie Schwall anhörte. Fred, so lange er noch in der Firma war, grinste.
    Wäre Schwalm angestellt, hatte er zu Selma gesagt, ich würde ihn sofort rausschmeißen. Auch eine ordentliche Abfindung zahlen. Die Höhe wäre mir wurst. Zugleich machte er sich Vorwürfe, sich überhaupt derart mit diesem Mann zu beschäftigen. Aber es blieb nicht aus – er sah ihn fast jeden Tag.
    Woran macht sich das Zuwidersein fest? Allein wie die Nase ging, auf großen Füßen, die leicht auswärts gestellt waren, ein Latschen wie bei einem dieser idiotischen Maskottchen, die als Bären bei Fußballspielen auftraten. Natürlich war die Nase unsportlich. Die Nase sagte auch, dass er in Sport nie gut war. Dafür aber in allen anderen Fächern. Mathematik, Physik, Deutsch, Latein. Einsen. Allein, wie er dastand mit hängenden Schultern. Es war dieses gänzliche Fehlen von Anmut, das

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