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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Besserwissen, das ihn beim Reden den Kopf hin- und herwenden ließ, als rede er vor einem Auditorium. Wenn er dann einmal schwieg und sich ein Argument anhören musste, sah er gelangweilt auf seinen Ehering, der ihn mit der dürren, dummen, immer im Diskant sprechenden blonden Frau Schwalm verband.
    Seine Abneigung fand Eschenbach später bestätigt, als Schwalm bei seinem Ausscheiden einen Kunden abwarb.

    Ob man Menschen sympathisch oder abstoßend findet, dazu muss man die Leute doch nicht sehen, sagte Selma, die konzentriert an einem Silberstab feilte, der einmal ein Mokkalöffel werden sollte, es reicht davon zu hören, was jemand wie gemacht hat. Und sie, die gern ins Kino, aber nur selten ins Theater ging, erzählte ihm abermals von ihrem Erlebnis, als eine deutsche Theatergruppe in Wroctaw die Minna von Barnhelm gegeben hatte, auf Deutsch, und sie als Schülerin die Aufführung gesehen hatte! Die Minna sagt, sie würde diesen Mann, Major Tellheim, wegen einer großherzigen Tat lieben, selbst wenn er schwarz wie ein Mohr wäre.
    Das sei, sagte Eschenbach, tatsächlich die wunderschöne, wenn auch nicht ganz zeitgemäße Erklärung für das, was Liebe ist. Nicht aber für das Begehren. Begehren kann man nur das, was man durch die Sinne erfährt, sieht, hört, spürt, riecht. Minna hat ja Recht, der Mann ist durch seine Handlungen liebenswert, auch wenn er einen steifen Arm hat, also ein Krüppel ist, oder aus dem Mund riecht. Aber das ist doch nicht Liebe, sondern Achtung.
    Ach, sagte Selma, Hephaistos’ Priesterin, die so oft ihre Sätze mit einem Ach einleitete, und blickte von ihrem Amboss auf und ihn, den Müden, erschöpft Dasitzenden an: Achtung ohne Liebe, das gibt’s, aber nicht Liebe ohne Achtung.

    Wenn sie ihm hier erschien, brachte sie das Gefühl von Wärme, von Vertrautheit und Zuwendung mit. Sie war der einzige seiner Geister, der arbeitend kam. Handarbeit. Ein solides Wort. Der zierliche Schmiedehammer. Das Gasgebläse. Wie sie die Backen beim Löten aufblies. Das konzentrierte Hämmern, Feilen, Polieren. Das Silber in ihren Händen.
    Und das vor allem, er sah sie, ihre Brüste, sehr deutlich, dort, wo sie sich über die Schalen des Büstenhalters, den sie stets eine Nummer zu klein kaufte, ein wenig wie ein Hefeteig wölbten. Ein Überquellen, so schien es ihm, von Lust. Und sie erschien ihm hier in ihrer sanften Ruhe, wie damals, als er sie nach einem Tag des Redens und Falschredens, der unterdrückten Zweifel, der versteckten Wut, der Mühe, sich keine Blößen zu geben, in ihrer Werkstatt besucht hatte. Cool bleiben , ein Wort, bei dem ihm aber ganz heiß war, ja er schwitzte, wechselte in dieser Zeit manchmal zwei-, vor wichtigen Gesprächen sogar dreimal das Hemd.
    Er kam zu ihr, setzte sich an den Werktisch und sagte, die Fernliebe der Minna, die ohne den Anblick auskommt, sei heute, bei der Bilderflut, bei all den Schönen, Jungen, Makellosen, ganz unmöglich.
    Nein, sagte die weichbrüstige Selma, das Theater zeigt doch die wunderbare Möglichkeit.
    Es ist die verschlungene, unerklärbare Wirklichkeit.

    Die Nase hatte bei dem Strategiegespräch wieder einmal das ausgeführt, was doch schon jedem klar war, ein Reden, das sich in argumentativen Girlanden durch den Nachmittag zog, eigentümlich unbildhaft, gesäubert von umgangssprachlichen Wendungen. Ein Reden, das schon durch seine Dauer Anmaßung war. Nie hätte dieser Kompagnon, wie Fred, sein erster Partner, der wunderbar fluchen konnte, gesagt, los, da rocken wir ab. Den ziehen wir an Land.
    Ihm war schon das Wissen zuwider, der Nase morgens zu begegnen, ihm hin und wieder die Hand geben zu müssen.
    Eschenbach musste sich jede nur erdenkliche Mühe geben, diesem Mann nicht grundsätzlich und auf abstruse Weise zu widersprechen, auch dann, wenn er vernünftige Vorschläge machte. Es war die gute Stube, die da sprach, die tückische Bravheit, allein wenn er die Nase sah, hätte er ein Messer ziehen können. Nicht wegen der Größe der Nase, sie war eher klein, nein, sie erschien ihm nur wie ein Ausrufungszeichen der Selbstgerechtigkeit.
    Fred fand es immer wieder amüsant, wie er sich über den Träger dieser Nase ärgern konnte. Aber nach Freds Ausscheiden war der Einfluss Schwalms gewachsen. Absprachen und Abstimmungen wurden kompliziert und langwierig. Es war ja nicht nur dieses Dröhnen seines Partners, sondern das Dröhnen der gewachsenen Macht. Und dann, plötzlich, kam er und bot seinen Anteil an. Eschenbach sagte sofort

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