Vogelweide: Roman (German Edition)
machte, schließlich lähmte. Ihre strikte Weigerung, ihn zu treffen, und die Weigerung seines Bankberaters, ihm den so wichtigen Kredit zu geben, fielen auf den Tag genau zusammen. Wobei die beiden, die ihn aburteilten, unterschiedlicher nicht sein konnten, sie, Anna, und dieser schnöselige Berater der für ihn ausschlaggebenden Bank.
Dass er sich sagte, das sei ein Zufall, half ihm nicht, es war in diesem Moment eine kalkulierte Botschaft, ein Urteil, das ihn zurückstieß: Du nicht.
Gegen Mittag kam der Gerichtsvollzieher. Eine Frau, gutaussehend und zuvorkommend, was ihm besonders peinlich war. Er konnte nicht einmal Aggressionen gegen sie entwickeln. Es war ihm peinlich, als sie ihm wie einem Analphabeten den Auftrag zur Vollstreckung vorlas. Er sah sie an, aus ihrem Gesicht sprach Mitgefühl, keine bürokratische Sachlichkeit. Sie war freundlich, vermutlich therapeutisch ausgebildet, so schien es ihm, als sie ihm sagte, es gebe immer einen neuen Anfang. Krisen haben immer etwas Positives, sie trennen Überflüssiges von Wichtigem. Gepfändet wurden sein Biedermeier-Sekretär, die Zeichnungen von Heckel, Kirchner und die Bilder von Grosz und Vladimir Lebedev. Haben Sie ein Auto?
Ja.
Er führte sie in die Garage hinunter.
Die Gerichtsvollzieherin sah den Saab und sagte, was für ein schönes Auto, ein Museumsstück. Rote Ledersitze. So gepflegt. Tut mir leid. Ich hatte auch mal einen Saab. Haben Sie nicht einen Freund, der Ihnen den Wagen ersteigern kann?
Vielleicht.
Sie klebte vorsichtig das Pfandsiegel auf das Zündschloss. Sagen Sie es dem Nachfolger, am besten mit etwas Benzin ablösen.
Er schämte sich vor dieser freundlichen Frau.
Er hatte sie zur Tür begleitet und sich mit einem Handschlag verabschiedet. Alles Gute hatte sie ihm gewünscht.
Er war durch den übergroßen Loft gegangen und hatte mit einem Tritt seine elfenbeinfarbene Bodenvase zerschmettert. Einen Augenblick lang glaubte er, sich damit von der Enttäuschung befreit zu haben. Aber dann sah er die herumliegenden Scherben und fand seine Wut peinlich. Er hörte nochmals ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter mit dem Endgültig an. Er löschte ihre Stimme. Danach trank er einen Whisky und legte sich aufs Bett. Das Telefon klingelte mehrmals und lange.
Am nächsten Morgen kam seine peruanische Putzfrau, die er, weil sie so finster blickte, den Leuchtenden Pfad nannte, sah ihn, wie sie ihn noch nie gesehen hatte, daliegen und fragte, ob er krank sei. Nein. Er schickte sie weg. Sie benachrichtigte Selma. Als es klingelte, ging er nach einem kurzen Zögern zur Tür, glaubte er doch, Anna könnte gekommen sein und das Endgültig wäre nicht endgültig. Er blickte durch den Spion und sah das grotesk verzerrte Gesicht von Selma. Er hörte sie rufen. Mach auf! Was ist?
Ich muss nachdenken.
Brauchst du Hilfe?
Ich brauche nichts.
Er schickte sie, ohne die Tür zu öffnen, fort.
Als die Rückzahlung des Kredits fällig wurde, als er zu der anderen Bank hätte gehen müssen, einer von den drei Banken, mit denen er zusammenarbeitete, zu einem letzten, einem allerletzten Versuch, das Unheil abzuwenden, da war er aufgestanden, hatte sich aber wieder hingelegt. Das Telefon klingelte. Er sah auf dem Display die Nummer jenes anderen Bankberaters, eines älteren freundlichen Mannes, den er seit Jahren kannte und der ihm nach langem Hin und Her vor drei Wochen nochmals einen Kredit gewährt und dabei gesagt hatte, er überschreite damit seine Kompetenzen, verlasse sich aber nach der jahrelangen Zusammenarbeit auf Eschenbachs Zusage, in den nächsten drei Wochen das Geld zu überweisen.
Eschenbach nahm das Telefon nicht ab. Es klingelte lange, und er dachte, dass dieser Mann nun seinetwegen in Schwierigkeiten kommen würde.
Er hätte Ewald fragen können, denn der kannte die Banker persönlich, schließlich hatte er, wenn auch nicht als Bauträger – was für ein Wort –, Millionenprojekte in Arbeit. Aber Ewald verbot er sich selbstverständlich. Vielleicht hätte es noch Wege gegeben, aber der tiefer liegende Grund, so sagte er sich später nach eingehender Selbstbefragung, war nicht allein das Verlassenwerden, sondern dass er keine Lust mehr hatte. Ja, so einfach, so schlicht war die Antwort. Die Lust fehlte. Ihm war die Lust abhanden gekommen, oder genauer, er konnte nicht mehr sagen, warum er so wie bisher weiterarbeiten sollte.
Wenn er sich fragte, warum er früher Lust verspürt hatte aufzustehen, dann waren es diese Rituale: Kaffee zu
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