Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
ein Schlag, das Schloss splitterte aus dem Holz und Ewald kam ins Zimmer gestürmt, brüllte ihn, der sich gerade von seinem Drehsessel erheben wollte, an: Du Schwein, du machst mir meine Ehe nicht kaputt. Dabei stieß er ihn in den Sessel zurück. Die Frau gehört mir.
    Oder hatte er gesagt, sie gehört zu mir, und seine Erinnerung wollte dem Planer nur diesen lächerlichen, primitiven Besitzanspruch andichten?
    Du machst mir nicht die Familie kaputt, und dabei hatte Ewald ihn in dem Sessel mit den Rollen vor sich her gestoßen. Es war ihm schließlich mit einer Drehbewegung gelungen, aus dem Sessel aufzustehen, woraufhin der Planer ihn mit den Fäusten, mal die rechte, mal die linke, gegen die Brust stieß und er staunend feststellte, welche Kraft in diesem doch schlanken Mann steckte. Er hatte beim Zurückweichen immer wieder gesagt, lass uns reden. Er hatte gesagt, setz dich bitte, lass dir erklären, und spürte die Fäuste, die sein Hemd gepackt hatten und ihn hin und her schüttelten, du mieses Schwein, hörte er, du Drecksack, hörte er. Und weder Angst noch Wut kamen in ihm auf, nur Verwunderung, es war, als hätte ihm jemand befohlen, sich auf den Hergang zu konzentrieren und sich alles genau einzuprägen.
    So wurde er durch seine eigene Wohnung gestoßen, gegen den Tisch, gegen die am Boden stehende große blaue Blumenvase, die umkippte, er stolperte über die Sonnenblumen, die verblüht waren, dachte, das Wasser läuft womöglich durch die Fugen in die darunterliegende Wohnung, dachte, jetzt ist die zweite Standvase kaputt, er wurde an die Wand gedrängt und hörte: du Drecksack, ich sollte dir die Fresse polieren. Weißt du, was du tust? Weißt du, was du uns antust? Den Kindern? Mir? Uns allen? Aber es war keine Frage. Es waren Feststellungen, gebrüllte Aussagesätze.
    Er hörte sich selbst abermals sagen, hör zu, lass uns reden.
    Da packte der Planer ihn erneut am Hemd und riss es – die Knöpfe spritzten herum – über der Brust entzwei. Merkwürdigerweise brachte dieses Zerreißen des Hemds den Planer zur Besinnung. Er sagte: Fick dich selbst. Wenn du kannst. Dann war er hinausgerannt.
    Eschenbach war einen Moment benommen dagestanden, dann sah er die abgerissenen Hemdknöpfe am Boden herumliegen und begann, einer seltsamen Regung folgend, sie aufzusammeln. Und dachte über diesen Satz nach, dass er sich selbst ficken sollte. Was hatte das mit ihr zu tun? Das war doch der reine Blödsinn.

    Erst später hatte er den Anrufbeantworter abgehört. Er hörte ihre Stimme, sie habe ihm alles gesagt. Ein Moment, da habe sie nicht mehr lügen können. Ich habe es gesagt, hörte er ihre Stimme. Ich musste einfach. Und hörte sie eine lange Zeit sprachlos weinen. Er lauschte diesem Weinen, als spräche sie mit ihm. Dann hatte sie, ohne noch etwas zu sagen, aufgelegt.

    Da war Ewald längst aus der Wohnung gestürmt, hatte die Tür hinter sich zugeschlagen.
    Das Schloss war herausgebrochen. Die Tür war nicht mehr abschließbar. Eschenbach fragte sich: Wie leicht muss es für die Staatsmacht sein, in Wohnungen einzudringen, wenn das Material derart brüchig ist.

    Solange er in seiner Wohnung lag, solange er keine Anrufe annahm, nicht in die Mails schaute, auf das Klingeln an der Tür nicht reagierte, solange er nur hin- und herging, sich grünen Tee kochte, zum Zoo hinüberblickte, dem matten Brüllen der mit Beruhigungsmitteln sedierten Löwen lauschte, solange er sich also ruhig verhielt, schien die Katastrophe aufgehalten zu sein, nein, gar nicht stattgefunden zu haben. Er hatte das Gefühl, den Zusammenbruch einfach anzuhalten, nur durfte er nichts essen, nur durfte er nicht hinausgehen, nicht die Tür, die er mit einem Sessel und einem Stuhl verrammelt hatte, öffnen, keinen Anruf entgegennehmen. Drei Tage verharrte er so, ohne dass jemand versucht hätte, die nicht verschließbare Tür zu öffnen.

    Er wusste, dass sein Büro bei Selma nachfragen würde, er wusste auch, was inzwischen geschehen war, die Firma, er, war zahlungsunfähig, die Mitarbeiter, einer dieser euphemistischen Begriffe, seine Angestellten gehen ins Büro, werden von der Buchhaltung hören, dass kein Geld mehr da ist, die Banken nicht zahlen wollen, dass die Firma geschlossen werde, dass sie kein Gehalt mehr bekämen. Die Konten waren leer und gesperrt.
    Am zweiten Tag hatte er für einen Augenblick daran gedacht, sich von seiner Terrasse zu stürzen. Aber das war eher ein koketter Gedanke gewesen. Wahrscheinlich war sie für einen

Weitere Kostenlose Bücher