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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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er zum Gericht gehen und die Insolvenz anmelden solle. Es kamen plötzlich drei Dinge zusammen: ausstehende Rechnungen wurden nicht gezahlt, der Großkunde war mit seinem Partner abgesprungen, und die nächste Tranche für eben diesen, die Nase, war fällig. Auch war sein Loft noch abzuzahlen, keine sehr hohe Summe, aber ebenfalls mit Zinsen belastet, und er hatte auf Anraten eines Bekannten für 400.000 Euro Container gekauft, die er natürlich nie zu sehen bekam, die aber, das war seine romantische Vorstellung, nun über die Meere gefahren wurden und für ihn Geld verdienten. 33.370,00 pro Container, 1,15 Euro pro Tag fest auf 5 Jahre. Rückkauf nach 5 Jahren für 2.065,00 Euro. Dann aber, als er diesen Besitztitel bei der Bank als Garantie hinterlegen wollte, stellte sich heraus, die Container waren, weil es ein Überangebot gab, nicht einmal mehr ein Fünftel wert, und das auch noch bei fallendem Kurs. Es schipperten massenweise chinesische Container über die Weltmeere.
    Die laufenden Kosten in Berlin für den Betrieb, Miete und Gehälter, Sozialabgaben waren derart hoch, dass die Kreditlinie ausgereizt und die geduldete Überziehung von seinen drei Banken gestoppt worden waren.
    Am Morgen hatte Michalski, sein Buchhalter, angerufen, ein sonst gefasster, immer wohl gelaunter Mann, und hatte hektisch ins Telefon gerufen, das Dach brennt. Kein Bargeld mehr, nichts, Banken machten Terror. Konnten Sozialversicherung nicht zahlen, Gehälter sowieso nicht. Mit den Leuten habe ich gesprochen. Die halten noch still. Brauchen aber auch das Geld. Bei dir steht die Pfändung ins Haus. Wir brauchen Geld. Sonst kracht alles zusammen.
    Eschenbach rief in der Bank an, verlangte nach seinem Berater, der nicht da war. Sprach mit dessen Sekretärin. Einen Termin. Heute. Unmöglich. Morgen. Wann? Dringlich. Später Nachmittag. Gut, sagte Eschenbach.
    Danach rief er Anna an. Ihre distanzierte, plötzlich so kalt klingende Stimme. Was ist?
    Wir müssen uns sehen. Dann ihr langes Schweigen.
    Gut. Aber nicht in der Bar.
    Sie wollte einen neutralen Ort und schlug vor, sich am nächsten Tag vor seinem Büro zu treffen.

    Er hatte vor dem Gebäude, einer ehemaligen Textilfabrik, die in den Neunzigerjahren in Büros umgewandelt worden war, gewartet, und sie stürmte auf ihn, der sie erst in dem Moment erblickte, zu, eine Furie, die Nein schrie. Die Leute, darunter auch Mitarbeiter, die vor dem Eingang standen und rauchten, blickten auf.
    Nein!
    Ja, es war ein Schrei: Es ist aus. Es muss sein. Bitte. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Lass mich. Sie drehte sich um, lief über die Straße zu ihrem Motorroller, startete ihn, würgte ihn ab, startete abermals und fuhr die Straße hinunter.

    Er versuchte, sie anzurufen. Ihr Handy war abgeschaltet. Seine SMS beantwortete sie nicht. Aber das tat sie nie. Am Telefon, das er bisher, wollte er sie treffen, nur selten benutzt hatte, war Ewalds Stimme zu hören mit dem Satz: Bitte hinterlassen Sie Ihren Namen und die Telefonnummer.

    Noch am selben Tag war er zur Bank gegangen und hatte den Berater gesprochen, der ihm eröffnete, weitere Kredite könne man absolut nicht gewähren. Absolut, wie ein absolutistischer Herrscher, nein, wie Gottvater. Diesem Mann war anzumerken gewesen, wie er es genoss, seine jahrelange dienende Höflichkeit ablegen und sich Eschenbach gegenüber endlich einmal einen herrischen Ton erlauben zu können. Er fügte noch hinzu: Sie haben über Ihre Möglichkeiten expandiert, was sich anhörte, als habe er über seine Verhältnisse gelebt. Der Schnösel sagte nochmals: Ich kann Ihnen keinen weiteren Kredit gewähren. Endgültig.
    Das löste bei Eschenbach einen Wutausbruch aus. Er nannte den in seinem korrekten Anzug, mit dem blau-weiß gemusterten Hemd und der rot und kackbraun gestreiften Krawatte dasitzenden Berater einen Drecksack, einen widerlichen Wichtigtuer. Und dann kam ihm plötzlich, als er das verängstigt schülerhafte Gesicht sah – immerhin war vor knapp einem Monat ein Berater in der Bank zusammengeschlagen worden –, ein Du dazwischen. Du Arsch mit Ohren, sagte er, kauf dir erstmal eine dezente Krawatte, bevor du hier ungefragt deine Meinung ablässt.
    Der Berater saß da, sprachlos, das Kinn zitterte ihm.

    Eschenbach fuhr nach Hause und hörte auf dem Anrufbeantworter ihre Stimme: Bitte. Ruf nicht mehr an. Ich will und ich kann nicht mehr. Verstehst du. Endgültig.
    Zunächst war er noch gefasst, dann fraß sich etwas in ihn hinein, das ihn zaghaft

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