Vogelweide: Roman (German Edition)
Aber etwas Neues wird beginnen. Wir – das ist das Beginnen.
Sie war aufgestanden und hatte ihn, den Sitzenden geküsst, die Vorstellung sei wunderbar. Aber dann sagte sie, nein und abermals nein, und sprach von Ewald, dem sie das nicht antun könne, nicht den Kindern, danach ist das Chaos.
Das Chaos ist, glaube mir, das ist ja mein Beruf, etwas Wunderbares.
Nur am Anfang und nicht für die Kinder und auch nicht für Ewald, ihn, der so verlässlich und unmissverständlich treu ist, ich darf gar nicht daran denken, allein wenn ich das Wort in den Mund nehme, nein, ich darf nicht daran denken, ich komme mir grässlich vor.
Aus Ungeduld und einer ihn später peinigenden Boshaftigkeit heraus sagte er: Was willst du ein Leben lang mit diesem Planer?
Sie, die im Begriff war, sich auszuziehen, zog sofort den Rock wieder hoch und mit einem Ruck den Reißverschluss zu, streifte schnell den Pullover über, raffte ihre anderen Sachen, den Büstenhalter, den Regenmantel, den Schal, die Handtasche zusammen, trat vor ihn, der auf dem Bett saß, hin und schrie: Du beleidigst ihn nicht. Woher nimmst du das Recht, so über ihn zu reden?
Sie schlüpfte in die Schuhe, lief, die Wohnungstür zuschlagend, hinaus.
Warte, hatte er gerufen und lief barfuß hinterher, riss die Tür wieder auf. Sie hatte nicht den Fahrstuhl genommen, sondern lief die Treppe hinunter. Er folgte ihr und rief im Hinunterlaufen: Bleib, tut mir leid, bleib, traf in der darunterliegenden Etage auf den Nachbarn, einen pensionierten Regierungsdirektor, der dastand, überrascht, ratlos, ihr nachblickte, sie, die zu dem Nachbarn gesagt hatte, Entschuldigung, das war der Wind, und weiter die Treppe hinunterrannte.
Er sah den erstaunten Blick des Nachbarn erst auf seine nackten Füße und dann auf den Treppenabsatz gerichtet, wo sie ihren schwarzen Büstenhalter verloren hatte.
Eschenbach hob ihn auf und stieg mit einem schiefen Lächeln, das seine Verlegenheit ironisieren sollte, an dem Nachbarn vorbei und in seine Wohnung hoch.
Später hatte er mit Anna wieder und wieder über diese Situation gelacht. Sie hatten dafür ein Stichwort: der Treppen-BH.
Mehrmals und in den unterschiedlichsten Situationen, im Bett noch mit erhöhter Systole, in der Bar, am Telefon, auch zwischen Tür und Angel, also im Hinausgehen, hatte er gesagt, trenn dich, lass uns zusammenziehen, komm her oder auch woandershin, wohin du willst, wir fangen neu an, und es wird gelingen, komm zu mir mit deinen Kindern.
Die Kinder, sagte sie, fallen dir nur rhetorisch ein, jetzt beim Überreden.
Das ist kein Überreden. Es ist ein Zureden.
Nein. Ich werde nicht zu dir kommen, hatte sie gesagt. Ich will ihm nicht diese Verletzung zufügen. Und erst recht nicht den Kindern. Ich möchte, ich will, dass du das respektierst. Dass mein Wunsch, meine schöne Vorstellung nicht in Erfüllung gegangen ist, dass ich gescheitert bin, ist traurig genug. Es soll nicht sein, dass immer wieder ein anderer, eine andere kommen kann, die, und sei es nur für einen Augenblick, Begierde auslösen und damit Beliebigkeit schaffen. Ihr Reden wurde ein Furor: Dann sind wir auf dem Markt. Greifen Sie zu. Die Gelegenheit ist günstig. Jung, attraktiv. Grabbelkiste. Dann hängt alles von Zufall und Zeitpunkt ab, und wir meinen, das sei das Leben.
Das ist das Leben.
Nein, der dumme Zufall.
Nein, der glückhafte.
Will man den als Gesetz?
Vielleicht. Ja.
Immer den noch besseren Partner suchen. Das beste Angebot.
Natürlich nicht.
Ewald ist konsequent, das mag ich, das bewundere ich. Er würde mich verstoßen.
Wie sich das anhört, sagte er. Dieses Planquadrat verstößt sie, dachte er, lachhaft, sprach es aber nicht aus, sondern schnaufte durch die Nase.
Und weil er das Schnaufen kindisch fand, sagte er dann, das ist lachhaft, und brachte eine peinliche Begründung: Der bekommt doch nie wieder eine Frau wie dich.
Hatte er das wirklich gesagt? Später mochte er an diese jämmerlich herabsetzende Rede nicht mehr denken.
Doch, er hatte es gesagt, so wie er den Freund, denn ein Freund war er ja geworden, das Planquadrat oder den Planer nannte, so wie er anfing, seine Bauten schlecht zu finden: Konzessionen über Konzessionen, an das Geld, an die Ökonomie, an den Profit. Er wusste, wie kindisch er sich verhielt, und doch genoss er es, so kindisch zu sein. Er glaubte, ein Recht darauf zu haben, weil er sich immer wieder diesen Satz laut sagte: Du fehlst mir. Die Gedanken liefen ihm davon und zu ihr hin, aber sie
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