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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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war.
    Er entsann sich seines Großvaters, der ihn, als er an dessen Hand über die Spitalgasse gegangen war, auf einen Mann hingewiesen hatte, ein großer, vierschrötiger Mann in einem grauen Paletot , schau dir das an, hatte der Großvater gesagt, der Mann ist mit seiner Reederei bankrott gegangen und raucht auf offener Straße eine Zigarre. Wie schamlos! Das Wort bankrott hatte sich für ihn für immer mit dem Zigarrenrauch verbunden, woran er, sah er den Rauch aufsteigen, genussvoll dachte.

    Die Gegenstände, die ihm blieben, Stühle, ein Küchentisch, Geschirr und Töpfe, stellte er zusammen. Und dann nahm er doch seinen Lesesessel mit. Er schrieb einen Zettel, den Sessel brauche er wegen eines Rückenleidens, ein Attest könne er, wenn gewünscht, beibringen. Zurück ließ er die Kücheneinrichtung, die elektronisch gesteuerten Heizplatten, Bratröhre, Grill und den ständig bereiten integrierten Kaffeeautomaten, aus dem die verschiedenen Sorten von Espresso und Cappuccino durch Knopfdruck abrufbar waren. Gut, dachte er, ich werde den Untersatz einer Espressokanne mit Wasser füllen, sodann Kaffeepulver in den Einsatz schütten, die Kanne auf die Herdplatte stellen und warten, bis es zischt. Und er nahm sich vor, diese erzwungene Einfachheit willkommen zu heißen.

    Der ausgeliehene Kleintransporter stand vor dem Haus. Eschenbach saß auf der Terrasse, die Sonne schien, die stimmgewaltige Amsel, die er Callas getauft hatte, saß auf dem Geländer der Terrasse und sang, wie er sich sagte, zum Abschied. Nie hatte er sie auf der Terrasse sitzen sehen, oft in der Kastanie, meist auf dem gegenüberliegenden Dach.
    Er wartete auf Ewald. Brüder im Schmerz. Oh je. Gemeinsam trugen sie die wenigen Dinge, die unpfändbar waren (auch eine Milchkuh hätte er behalten dürfen), hinunter. Sie fuhren in das Viertel, in dem er eine Zweizimmerwohnung gemietet hatte, genau genommen nur eine Eineinhalbzimmerwohnung im vierten Stock. Immerhin hatten die Zimmer einen Fußboden aus Kieferbohlen. Aber noch wichtiger, die Fenster zeigten nach Südwesten, sodass die beiden Räume, schien die Sonne, hell waren. Rundum der Blick in die Fenster der gegenüberliegenden Häuser, die, mit einer Ausnahme, dort wohnte eine alte Frau, keine Gardinen hatten. Ein quadratischer Hof, asphaltiert, kein Busch und nur ein Baum, eine Platane, acht Abfallcontainer, gelbe, grüne, graue. Und am Morgen kein Ruf des Löwen.
    Dafür hast du einen wunderbaren Blick ins pralle Leben.
    Wir können ja tauschen.
    Aber da lachte Ewald nur.
    Sie saßen zusammen bei einer Flasche, die er rechtzeitig beiseitegeschafft hatte aus seinem Rotweinbestand, der ebenfalls gepfändet worden war, und tranken auf die Zukunft.
    Und Anna?
    Sie ist geflohen.

    Ich bin der Ausgestoßene, sagte Eschenbach betont munter, der Homo sacer, jedenfalls was diese Wirtschaft angeht. Konnte, frage ich mich, in der DDR überhaupt jemand pleitegehen?
    Wir sind die Verlassenen, murmelte Ewald, der nicht zugehört hatte. Kannst du mir sagen, was sie bewogen hat, mit dir, er stockte, und das Wort Bett lag ihm auf der Zunge, aber er drückte es dann so aus: etwas anzufangen?
    Und als Eschenbach einfach schwieg, eine lange Zeit, und ihn nur ansah und seine Trauer und Hilflosigkeit bemerkte, nannte er ihn beim Namen: Ewald, das ist eine dumme Frage.
    Und Ewald nickte.

    Ab sofort mit dem Bus und der U-Bahn zu fahren, störte Eschenbach nicht, aber dass sein alter roter Saab mit Weißwandreifen, den er seit seiner Studentenzeit immer wieder repariert und aufgeputzt hatte, ihm genommen werden sollte, erweckte Zorn in ihm, ja Hass auf den Käufer. Ein Sammler von Oldtimern war bald gekommen. Der Mann ging um den roten Saab mit einem Blick, als sähe er einer Frau, die sich gerade bückt, auf den Hintern.

    Kurz darauf rief ihn Ewald an. Selma habe ihm gesagt, wie hart es ihn ankomme, dass der Wagen verkauft werde. Ewald bot ihm an, den Saab zu kaufen und ihm dann zu überlassen.
    Eschenbach hatte abgelehnt. Es wäre ein Geschenk gewesen, das er durch kein Geschenk hätte erwidern können. Eine Geste, die Hilfsbereitschaft, tatsächlich aber nur die Ungleichheit aufscheinen ließ. Die Annahme des Geschenks wäre einer Unterwerfung gleichgekommen. Allein das Angebot war eine Beleidigung. Vielleicht, ja wahrscheinlich sogar, hatte sich Ewald gedacht, er tue etwas Gutes, ohne das Erniedrigende in seinem Angebot zu sehen. Eschenbach hatte Nein gesagt und gedacht, ich hätte ihm als orientalische

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