Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
ihm schätzte, seine Großzügigkeit. Er sagte, wir sind beide verlassen worden. Und mit einem kleinen bitteren Lachen: Wir sind Brüder im Schmerz, und nach einem langen Schweigen: Ich werde um die Kinder kämpfen. Ja, ich werde um die Kinder kämpfen.
    Wo ist sie, wagte Eschenbach zu fragen.
    Weg. Zu ihrem Bruder. Nach New York.
    Und die Kinder?
    Hat sie mitgenommen. Nein. Ich werde das nicht zulassen. Ich werde kämpfen, wiederholte er mit starrem Blick.
    Sie saßen eine Zeitlang, tranken und schwiegen. Aus der Ferne war das Sirenengeheul eines Unfallwagens zu hören. Und Eschenbach dachte, um wie viel melodischer die amerikanischen Signale sind, die sie jetzt wahrscheinlich hören wird. Nach einer kurzen Pause, in der nur ein Grummeln von ihm kam, sagte Ewald, entschuldige, stand auf und ging aus der Tür ohne Schloss hinaus. Kam nochmals zurück, sagte, lass bitte mich die Reparatur der Tür zahlen, und verschwand.

    Zumindest dieses Glück hatte er in seinem wirtschaftlichen Absturz, auch die Anwältin für Insolvenzrecht war eine taktvoll freundliche Frau, die eine solide Zukunftsfreude ausstrahlte. Sie müssen einen Antrag stellen. Es gibt einen Formularzwang. Sonst bekommen Sie keine Restschuldbefreiung. Wir können unter Umständen die Firma wieder neu aufstellen. Wir müssen versuchen, einen Investor zu finden. Ich kümmere mich um die Banken.
    Aber Eschenbach wollte nicht. Er war keineswegs bockig, er hatte, so einfach hätte er es auch ihr sagen können, keine Lust mehr.

    Wenig später musste Eschenbach aus der Wohnung ausziehen. Sie wurde verkauft. Der Erlös, gut eineinhalb Millionen Euro, floss der Insolvenzmasse zu. Was ihm verblieb, passte in den Kleintransporter, den er sich gemietet hatte und auch selber fuhr: Küchentisch, Stühle, sein Lesesessel, seine Schreibtischplatte, die beiden Holzböcke, drei Jacken, ein Paar Hemden, Schuhe, Unterwäsche, Bettwäsche. Ewald, den er seit dem Einbruch in seine Wohnung auch für sich wieder Ewald nannte, wollte ihm beim Hinunter- und Hinauftragen helfen.
    Zuerst glaubte er, dessen Genugtuung zu spüren, dass er, der die Lust genossen, das Leid ausgelöst hatte, nun am Boden lag. Wenn es eine ausgleichende Gerechtigkeit gab, dann hatte sie hier gewirkt. Er war pleite, erledigt bis zum Tag der Erlösung, der war hienieden die Entschuldung. Gut, sagte er sich, das dauert heutzutage nicht mehr ewig. Bei Eigenantrag sechs Jahre. Man musste sich nicht mehr erschießen. Man könnte wieder von vorn beginnen.
    Er aber wollte nicht mehr von vorn beginnen.

    All das, was Eschenbach gesammelt und zusammengetragen hatte, seine Seladon-Vasen, seine Zeichnungen von Dix und Grosz, von Heckel, Kirchner, Schmidt-Rottluff, die Originalfotografien von Cartier Bresson, von Lee Miller, Margaret Bourke-White, war entweder schon gepfändet oder später von der Insolvenz erfasst worden. Allerdings hatte Eschenbach rechtzeitig die Ming-Vase, die ihm Selma in guten Tagen geschenkt hatte, zum Bahnhof getragen und in ein Schließfach eingeschlossen und sie so den Listen entzogen, in denen alles erfasst wurde. Seine Sammlung der Netsuke und die Ledersessel und das Sofa, einst von Le Corbusier entworfen, optisch so gelungen wie unbequem, waren zur Versteigerung angezeigt worden. Er war durch den großen, nach drei Seiten offenen Raum gegangen, mit der nach Südosten weisenden Terrasse. Noch waren all die vertrauten Gegenstände vorhanden und doch für ihn schon nicht mehr da, sie waren in den Limbus der Insolvenzverwaltung gerückt. Er setzte sich noch einmal in seinen Lesesessel. Das Modell eines Schweizer Designers. Verchromte Stahlrohre, die Sitzfläche, die Rückenlehne aus Leder, alles knapp und funktional, aber, im Gegensatz zu den Sesselwürfeln von Le Corbusier, wundersam bequem. Auf einen ebenso schlichten Hocker legte er die Füße und las in sich versunken. Er saß und dachte, recht so, du hast verloren Land und Liebe, und er grübelte, woher das Zitat kam. Zugleich war diese unglaubliche Erleichterung zu spüren, die Last der Verantwortung, die ruhelosen Überlegungen der letzten Wochen, wie der Zusammenbruch abzuwehren sei, all das fiel von ihm ab. Er dachte, ich bin jetzt mit den Empfängern der Wohlfahrt auf einer Stufe. Genaugenommen noch darunter, denn jede Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen und sich so etwas leisten zu können, und sei es nur ein guter Wein oder eine Reise, war erst mal ausgeschlossen. Es sei denn, er arbeitete schwarz, wozu er fest entschlossen

Weitere Kostenlose Bücher