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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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vorstellbar, und wenn ich ehrlich bin, durchaus mit Lust.

    Die Welt ist aus den Fugen, sagte Ewald.
    Aber das war sie schon immer. Die Welt ist unheilig, das ist alles. Das ist tief traurig. Aber es macht uns frei.

    Im Juli war es ungewöhnlich heiß geworden. Fast zwei Wochen, in denen kein Regen fiel. Jessen musste ihm zweimal in Kanistern Trinkwasser bringen. Eschenbach verrichtete seine Arbeit und verbrachte die Tage, da die Hitze in der Hütte unerträglich war, im Schatten des Podiums unter der Hütte. Hin und wieder schwamm er, genoss die Kühle und legte sich kurz an den Strand. Sacht, als atme er, ging der Wind. Dann brach sich wie mit einem Flüstern eine kleine Welle. Das Licht sprühte auf dem Wasser, und über den Dünen zitterte die Luft.
    Die Abende brachten ein wenig Kühlung. Nachts lag er im Freien, über sich den bestirnten Himmel. Ein, zwei Mal lag ein fernes Wetterleuchten über dem Meer. Aber erst nach zehn Tagen zog ein Gewitter auf, und mit den ersten Sturmböen wirbelten auf den Dünen Sandfahnen hoch, die Brandung rollte und die Gischt wurde über den Sand getragen, bis jäh der Regen einsetzte, ein breiter graugrüner Vorhang, der den Himmel zuzog.

    Ewald hatte sich um ihn bemüht. Er kam stets unangekündigt in die kleine Wohnung in Neukölln, stellte seine blau-irisierende Harley-Davidson gegenüber ab, wo ein kleines türkisches Bordell war. Der sicherste Ort in der Gegend, weil jeder der Zündler, die in der Stadt herumliefen, glauben musste, die Maschine gehöre einem türkischen Zuhälter. Und mit denen war, wie jeder wusste, nicht gut Kirschen essen. Er klingelte zwei Mal, kündigte damit sein Kommen an, stellte sich so, dass Eschenbach ihn nicht durch den Spion sehen konnte, spazierte herein und brachte ihm eine Flasche Wein, eine kleine Blechkiste bretonischer Kekse mit, von denen er wusste, dass Eschenbach sie mochte, richtete von Selma Grüße aus und unterbreitete ihm Vorschläge, wie und wo er mit seinen Kenntnissen wieder ins Software-Geschäft einsteigen könne. Du baust eine neue Firma auf. Du hast es doch bewiesen. Du kannst das. Zahlst die Schulden ab. Du hast Erfolg gehabt. Das öffnet dir doch Tür und Tor.
    So ist das mit Tür und Tor.
    Einmal war er ausfallend geworden. Als Ewald wieder mit dem Erfolg kam, da sagte er, leck mich mit deinem Erfolg.
    Ewald sagte nur ja, ja und lächelte mild und verständnisvoll, er ließ sich nicht beleidigen. Es war, als hätte er sich psychologisch beraten lassen oder als wolle er seinen damaligen Einbruch, den er witzelnd mein Gate-Crashing nannte, ungeschehen machen. Aber es war spürbar, dass dieser Einbruch nicht in sein Bild von sich passte. Dass er ihn durch Verniedlichung erträglich und schließlich vergessen machen wollte, jedenfalls so vergessen, dass ihn kein Schamgefühl mehr überkam, wenn er daran erinnert wurde.
    Er hätte den Planer rausschmeißen, er hätte den Kontakt abbrechen können, es war nicht die Einsicht, sich erwachsen verhalten zu müssen, die ihn daran hinderte, das war ihm egal, es war, wenn er sich selbst befragte, die Hoffnung, sie wiederzusehen. Denn tatsächlich hielt sie wegen der Kinder den Kontakt zu Ewald.
    Darunter litt Ewald, das sei das Schlimmste, sagte er, das plötzliche Fehlen der Kinder. Ich war ja oft unterwegs, aber was war das für ein wunderbares Gefühl von Zuhausesein, die Kinder zu sehen, mit ihnen zu spielen, vorzulesen, das gemeinsame Essen. Ich sehe sie, aber viel zu selten. Aber darum mit Anna einen Rosenkrieg führen? Sie hat sie entführt, weit weg, dieser Schmerz, er stockte, sagte, verzeih, aber ohne Selmas Hilfe hätte ich das nicht durchgestanden.
    Da ist nichts zu verzeihen, sagte Eschenbach, es ist, wie es ist.

    Sie hatten sich dann doch nochmals getroffen. Es war ihr Vorschlag gewesen. Sie hatte darauf bestanden, sich nicht in ihrer Bar zu treffen, sondern in einem der widerlichen Coffeeshops, die sie beide hassten.
    Dort hatte sie ihm eröffnet, was er schon wusste, dass sie nun endgültig nach New York ziehe, zu ihrem Bruder. Den Schuldienst werde sie quittieren. In Berlin gebe es genug Lehrer, die eine Anstellung suchen. Ich gehe in die Neue Welt.
    Sie hatte es genau so gesagt: in die Neue Welt, und es klang so verlockend und so gar nicht dahingesagt, vielmehr nach der lang ersehnten Erfüllung eines Wunsches.
    Er dachte, und ich? Ich soll in der alten Welt bleiben, hatte es aber nicht ausgesprochen. Hingegen hatte er von ihren Kindern gesprochen, Kindern, die

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