Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
Gegengabe allenfalls Selma schenken können.
    Aber Selma hatte sich zu jenem Zeitpunkt, ohne dass er davon wusste, Ewald schon selbst geschenkt.

    Drei Wochen nach dem Gewölbesturz erzählte sie ihm, sie habe mit Ewald geschlafen. Zuvor hatte sie den Schamanen getroffen.
    Ich war zu Boden geschlagen. Alles machte mich stumm. Das Zimmer drückte mich. Ich habe ihn angerufen, und Harald kam. Und hörte zu. Er sagte nichts, saß auf dem Teppich mit gekreuzten Beinen und hörte mir zu. Ich habe geweint und mein Herz ausgeschüttet. Wie sehr enttäuscht ich war, von dir, über dein Schweigen, über dein Verschweigen. Ich habe geglaubt, ich weiß alles von dir, und plötzlich hört man von einer anderen Frau. Ja, ich hatte es gespürt, aber ich dachte, du bist mir nah, ganz vertraut, innen und außen. Und dann ist da dieses fremde Leben, das sich innen und außen ausgebreitet hat. Das ist, sagte sie in diesem ostdeutsch-polnischen Tonfall, mein großes Herzeleid.
    Eschenbach küsste ihre Hände.

    Eine Woche später hatte sie Ewald getroffen. Nein, sie sagte nicht, ich habe mit ihm geschlafen, sie sagte, sie sei ihm gut gewesen. Diese Verkleinerungen, dieses Erträglichmachen, dieses geruchlose Gutgewesensein. Nichts von Schweiß, Stammeln, Keuchen, dem Geruch von Sperma.
    Selma hatte sich mit Ewald verabredet. Sie wollte ihn fragen, was zu tun sei, um ihm, Eschenbach, der in finanzielle Not geraten war, helfen zu können. Was sie in dem Moment nicht wissen konnte, war, dass Anna Ewald verlassen hatte. Ewald und sie waren die Zurückgebliebenen.

    Es muss eine Szene wie bei Goldoni gewesen sein, sagte er später dem englischen Freund. Alle litten, litten aneinander, ein eng verschlungenes, tiefes Leid. Tritt man jedoch einen Schritt zurück, scheint die Komik der Verwicklung auf, natürlich konnte keiner von uns lachen.

    Selma erzählte Eschenbach, wie sie und Ewald sich zum Essen in einem Restaurant verabredet hatten. Und er von Annas Entschluss erzählte, ihn zu verlassen, mit den Kindern nach Amerika zu ihrem Bruder zu gehen. Ich war wie vom Donner gerührt. Und Ewald, dieser doch sonst so gefasste Mann, fing plötzlich vor all den Gästen an zu weinen, still, er wischte sich die Tränen mit der Serviette ab, schüttelte unentwegt den Kopf. Ein einziges gestisches Nein. Ihr sei das keineswegs peinlich gewesen, im Gegenteil, sie fand das mutig, sie habe seine Hand genommen, gedrückt, bis er sich wieder gefangen hatte. Und das habe auch ihr geholfen, sich zu fassen.
    Sie hatten sich dann beide gefragt, wie es sein konnte, dass sie vorher nichts gemerkt haben. Sie immerhin hatte eine Ahnung, aber Ewald?
    Nein.
    Damals, in der Galerie?
    Nein.
    Ewald sei über seiner eigenen Erzählung ein wenig zur Ruhe gekommen. Aber diese Ruhe habe seinen Kummer noch spürbarer gemacht. Und der sei, wie sie Eschenbach versicherte, maßlos gewesen. Diese unfassliche Hilfsbedürftigkeit Ewalds, der ja nicht nur die Frau, sondern auch die Kinder verloren hatte, der wirklich verlassen worden war, hatte sie als nicht ausgesprochenen Appell verstanden, als Wunsch nach Nähe, nach Geborgenheit, wie ein Kind, das hatte sie gerührt.
    Ewald hatte sie gefragt, wie deutlich ihre Ahnung denn gewesen sei. Sie sagte, sie habe die Schwingungen zwischen den beiden gespürt, ja, da war etwas, aber das sei ja nicht verboten. Ich mochte ja auch ihn, Ewald. Selma dachte nach, aber, nein, eure Blicke, als wir an dem Tisch saßen, die sprachen.
    An welchem Tisch, fragte Eschenbach.
    Damals die Einladung bei dem Galeristen. Anna saß dir gegenüber, und du hast ihr das Salzfass gegeben. Eure Hände haben sich berührt. Anna sei derart von ihrer Umgebung abgelenkt gewesen, dass sie ihr Glas Rotwein auf einem Messer abgestellt und beinahe umgeworfen habe. Selma sah Eschenbach an: Ihr beide tränktet zueinander.
    Wieso tränktet?
    Drängtet.
    Und weiter?
    Sie sagte, Ewald habe in dem Restaurant seine Hand auf die ihre gelegt, die immer noch seine drückte. So war es gekommen.
    Was?
    Ich war Ewald gut.

    Eschenbach hatte die selbst so oft erlebte und bis in die Einzelheiten vorstellbare Szene vor Augen, nur saß jetzt nicht er, und das schmerzte, sondern Ewald bei Selma in der Werkstatt, sie arbeitete, feilte, hämmerte, blies die Backen auf für das Lötfeuer, um der Propangasflamme Sauerstoff zuzuführen, damit sie spitzer und feiner werde, spendete Trost, indem sie einfach zuhörte oder auch ihn, Eschenbach, bestätigend einen Mistkerl nannte, einen Heuchler,

Weitere Kostenlose Bücher