Vogelweide: Roman (German Edition)
Lügner, wie sie auf ihrem mit Kissen aufgepolsterten Futon saßen, den Rotwein, den er mitgebracht hatte, tranken, und dann war es ein Kopfneigen zueinander, ein Abstellen der Weingläser – sie küssten sich, sie ließ sich zurückfallen, dieses Selma-Zurückfallen, das eine einzige Hingabe war, hatte vor Augen, wie er ihr oder sie sich die Pluderhose auszog, genau diese Vorstellung, wie er erst die Schuhe und dann immer mehr auszog, um endlich in ihrer schmiegsamen festen Fülle Ruhe zu finden.
Selma war ihm gut.
Eschenbach versuchte, dieses Bild, um es von sich abzurücken, mit komischen Details anzureichern, was ihm nicht gelingen wollte, es war immer diese traurige Sicht des Außenstehenden auf zwei unglücklich glückliche Menschen.
In sentimentalen Momenten sagte er sich, ich habe mich selbst aus dem Paradies vertrieben. Er hatte das auch dem Freund gesagt.
Ach herrje. Das Paradies. Gibt’s das?
Ja doch. Hin und wieder, für kurze Augenblicke.
Gut, dann such dir ein neues. Mach einen Abstecher nach Paris. Du kannst bei mir wohnen. Wir gehen zu dem geilen Fuchs essen.
Kann ich nicht. Hab einen Termin. Ich redigiere einen Reiseführer über Kuba. Was sagt man zu so einem Satz: Die besten Zigarren, die Cohiba, werden an den Schenkeln junger Frauen gerollt?
Man weiß, woran der deutsche Mann denkt, wenn er Kuba hört.
Das Fürchterliche ist, hatte Ewald, als sie wieder miteinander redeten, zu Eschenbach gesagt, ich habe nichts gemerkt, nicht einmal etwas geahnt.
Und dann sagte er abermals: Ich kaufe deinen Saab. Du hütest ihn. Freie Verfügungsgewalt. Auch die Versicherung zahle ich. Bitte. Vollkasko.
Sehr nett von dir, aber ich habe keine Garage mehr.
Stell ihn auf die Straße. Warum lachst du?, fragte Ewald.
Zwecklos, dieses Rot schreit doch nach einer Lunte, muss abgefackelt werden. Der neue Besitzer hat in Kreuzberg eine alte Fabrikhalle, in der steht seine Sammlung: dreiundzwanzig Oldtimer. Dahin gehört der Wagen, und der wird jetzt dreimal im Jahr zu irgendeinem idiotischen Oldtimer-Treffen an die frische Luft geführt.
Nie wieder hatten sie sich, nachdem alles offenbar geworden war, zu viert getroffen. Es war Selma, die zu bedenken gegeben hatte, ob man das Verschwiegene nicht ins Offene bringen könne, ob das, was zuvor möglich gewesen war, nicht auch mit dem Wissen aller möglich sei.
Selma wird, so stellte es sich Eschenbach vor, Ewald in einem nächtlichen Gespräch gefragt haben, ob das jetzige unglückliche Getrenntsein aller nicht durch ein Zusammenleben, das jedem seinen bisherigen Ort belasse, überwunden werden könnte.
Er müsse nachdenken, hatte Ewald gesagt, und sie sagte, ihr Eindruck sei, dass er wegen Anna und vor allem wegen der Kinder zustimmen werde.
Und er, Eschenbach?
Eschenbach hatte nach kurzem Nachdenken gesagt, es liegt etwas Maßloses darin, aber ja, ich will tatsächlich deine Nähe und die Nähe Annas. Vielleicht ist unser Denken einfach zu stark von Erziehung, Finanzamt und Kirche bestimmt, von der Vorstellung der Ehe als Institution der Ausschließlichkeit. Aber die hat sich nun einmal in die Gefühle wie hartes Sediment eingelagert.
Sonderbar genug, dachte er für sich, dass für mich das Wissen, sie mit Ewald heimlich zu teilen, ein anderes ist, als sich nach einem Treffen zu verabschieden, beiden gute Nacht zu sagen und damit in das Teilen einzustimmen und sie in seinem Bett zu wissen.
Und überhaupt, hatte er zu Selma gesagt, wie soll das im Alltag gehen?
Ich weiß nicht, aber das wird sich finden. Es wäre ein Versuch.
Zu dem Versuch sollte es nicht kommen. Anna lehnte strikt ab.
Anna hatte sich, was Eschenbach erst später erfuhr, nach ihrer kurzzeitigen Rückkehr nach Berlin, um alles Notwendige für eine Übersiedlung in die USA zu ordnen, mit Selma getroffen.
Wir haben uns alles vom Herzen geredet. Wir haben beide geweint. Der Kummer war groß. Meiner anders als der ihre, wie du dir vorstellen kannst, sie, die so viele Menschen, die sie liebt, verletzt zu haben glaubt.
Glaubt ist gut.
Das ist das Gift der Liebe. So hat sie es gesagt und von den Kindern gesprochen, die unter der Trennung von Ewald leiden. Da habe ich sie gefragt. Aber es war für Anna nicht denkbar. Es sei eine mutige Vorstellung, aber ihr fehle der Mut. Sie habe nicht die Kraft dazu.
Und du, hatte Eschenbach gefragt, was denkst du, mal abgesehen davon, dass du in deiner schönen Harmoniesucht alles ins Gleichgewicht bringen willst?
Ja, sagte sie, es ist
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