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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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ihn, wie er sich ehrlich sagen musste, bisher nicht weiter beschäftigt hatten. Was wird mit deinen Kindern?
    Auch das sei kein Grund zu bleiben. Ich muss neu anfangen. Ich mag mit all den Orten der Schuld nicht leben.
    Schuld? Was zwischen uns war und noch ist?
    Oh doch. Oh doch. Und mit der deutlichen Absicht, sich nicht auf diese Diskussion einlassen zu wollen, fuhr sie fort, mein Bruder hat auch zwei Kinder, die auf die deutsche Schule gehen. So können Ole und Lisa mit seinen Kindern in die Schule fahren. Ich werde zunächst bei ihm wohnen.
    Und dann, hatte er gefragt, und was dann? Hast du eine Arbeitserlaubnis? So, als könne er damit ihr Weggehen verhindern.
    Ja, sie habe eine Green Card. Die hatte sie vor Jahren ebenfalls durch ihren Bruder bekommen. Sie hatte damals ein paar Monate in seiner Firma gearbeitet. Eine deutsche Firma mit einer Niederlassung in New York, die ihr Bruder leitet.
    Welche Schuld?, hatte er nochmals gefragt.
    Das Versprechen, das ich gebrochen habe.
    Und da hatte er, nach langem Schweigen, genickt.
    Die Trümmer, die ich hinterlasse, die Trauer, deine, Ewalds, Selmas, meine.
    Sie war aufgestanden und gegangen. Er saß vor den Pappbechern mit dem kalt gewordenen, bitter schmeckenden Kaffee. Er trank aus ihrem Pappbecher und dachte an ihre Worte: Daran waren deine Lippen.

    Allerdings flog Ewald zweimal im Monat nach New York, wo er schon vor der Entzweiung wegen eines größeren Umbaus regelmäßig zu tun hatte, während sie nur hin und wieder nach Berlin kam, und wenn, als hätte sie das ausgeforscht, war Eschenbach nicht in der Stadt, oder aber man hatte es ihm nicht gesagt.

    Er hätte seine Dachwohnung, woran er nie gedacht hatte, nein, er hatte nicht daran denken wollen, beizeiten seinem Vater oder seiner Tochter überschreiben können. Er bereute nicht, es nicht getan zu haben. Er wollte keine Absicherungen, keine Tricks, durch die er Geld als Reserve in der Schweiz hätte deponieren können. Hiob hatte auch keine Wahl. Und er hatte keine Beulenpest. Das attestierte ihm auch die Ärztin. Sie sind gesund. Sie sagte, ganz und gar, und dann lachten sie beide, die Ärztin und der Patient.

    Die Norne war wieder einmal mit ihren Bodenseeäpfeln nach Berlin gekommen, wollte ihn nach ihren Gesprächen mit den, wie sie sagte, politischen Entscheidungsgremien und Meinungsführern – das betonte sie so lustvoll, dass immer der Führer herauszuhören war – treffen und vom Fortgang der Arbeit hören. Die Äpfel trug der Assistent ihr in einem kleinen Stoffsack nach, und jedes Mal betonte sie, wenn sie Eschenbach das Säckchen überreichte, den Vitamingehalt.
    Geht es voran?
    Ja.
    Aber dann begann sie, auf die Frage, wie es ihr denn gehe, sofort und ausführlich von sich zu erzählen, von Gelenkschmerzen, Föhn, Ärger mit dem und jenem, es sprudelte aus dieser Frau heraus, und dennoch blieb dieser lauernde Blick. Er war ja, im Gegensatz zu seiner früheren Arbeit, der Zuhörer, der Auditor geworden. Wie ein Psychotherapeut hörte er sich die Geschichten an, konnte sich auch das Wesentliche merken. Doch ein guter Therapeut hätte er nie werden können, weil er gegen alles Zwanghafte, wenn denn nicht die Aussicht auf baldige Veränderung bestand, einen – ja, er musste sich das eingestehen – aggressiven Widerwillen hatte.
    Aber war nicht das, was er seine Liebe nannte, der allergrößte Zwang?
    Nein, sagte er für sich, es ist ein Geschenk und der Zwang, nicht anders zu können. Das Nicht-anders-Können ist die Hingabe. Eine Gabe.
    Du machst dich, so wie du das aussprichst, vor dir selbst lächerlich.
    Dann sagte er für sich: Nein. Es muss erst besprochen werden. Besprochen in dem Sinn, wie man Mondsüchtige bespricht.
    Und er fragte sich, was sind die Wünsche, die wahren, wenn sie sich denn durch das eigene Einreden verändern, verlagern können.
    Natürlich hatte die Norne eine hohe Meinung von der Meinung.
    Sie erzählte wieder einmal von ihrem Dienst im Propagandaministerium. Von ihrer ganz und gar subalternen, wie sie sagte, journalistischen Arbeit für den Meister der Meinungsherstellung und Meinungsumdeutung. Die Erotik seiner Stimme. Wenn er redete. Eine Kompensation für dieses Hinken. Man dachte nicht an den Gottseibeiuns. Damals nicht, weil man nicht alles wissen konnte. Alles müsse aus seiner Zeit heraus verstanden werden. Das heutige Wissen von den Verbrechen sei nicht das damalige gewesen. Und wieder erzählte sie von diesen Verdächtigungen. Die Demoskopie habe sie

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