Vogelweide: Roman (German Edition)
unter den Vögeln. Übrigens sehr dezent in ihrer Paarung. Ganz anders die Spatzen. Die galten lange Zeit als moralisch höchst bedenklich, als regelrecht sexbesessen. Und dann noch verfressen. In schlechten Zeiten Konkurrenten der Menschen im Garten und auf dem Feld. Ich zeige dir nachher, was Mrs Buffon über die Spatzen geschrieben hat.
Sie lachte. Merkwürdig. Ich dachte, dass es bei den Möwen etwas wilder zugeht. Sollen doch die Seelen gestorbener Seeleute sein.
Und sie fragte ihn nach den Namen der Vögel, verwundert über seine Kenntnisse. Und die dort, die weißen, da, mit dem schwarzen Schwanzende?
Austernfischer.
Und dort?
Dort hinten? Du hast Glück. Ein Steinwälzer.
Wie gut wäre es gewesen, dachte er, wenn der Freund ihn hier hätte besuchen können. Nie hatten sie auf den früheren gemeinsamen Spaziergängen entlang der Strände von Amrum, Sylt oder Föhr einen Steinwälzer gesehen.
Der Steinwälzer war an der Nordsee schon im neunzehnten Jahrhundert fast ausgestorben, jetzt, sagte er zu ihr, seit wenigen Jahren, gibt es wieder einige Brutpaare, und eines davon lebt, es war mein glücklicher Fund, hier auf der Insel.
Jetzt trägt er sein Winterkleid, im Frühjahr sein Prachtkleid, leuchtend kastanienbraun, schwarz gemustert der Rücken. Dass sie hier brüten, ist eine kleine Sensation. Fragten im Frühjahr jede Woche von der Zentrale an, wie es dem Paar denn so gehe.
Der Steinwälzer lief bedächtig über den Strand, keineswegs so wie die Strandläufer in ihrem hektischen Hin und Her, das von einem mechanischen Kopfnicken begleitet wurde. Der Steinwälzer trippelte, so schien es, ein wenig nachdenklich, stand still und hebelte mit seinem Schnabel hier einen Stein um, dort einen Tangstrang und spaltete mit zwei, drei Schnabelhieben eine Muschel auf.
Sie wollte die Gründe für das Verschwinden wissen.
Möwen, die das Gelege ausräumen. Früher waren es die Eiersammler, Fischer und Bauern. Ausgesprochen schmackhaft sollen die Eier sein. Als Zugvögel kommen sie noch, aber als Brüter waren sie schon lange verschwunden. Und jetzt lebt ein Paar hier, übrigens in einer monogamen Saisonehe, wobei sie hier ja auch nicht in Versuchung kommen. But a bird always has the last word.
Wer uns so sieht, sie und mich, dachte er, wird sich kaum vorstellen können, dass wir einmal zusammen waren, wenn auch nur als Undercoverpaar. Vielen Paaren sieht man sogleich an, dass sie miteinander leben, nur nicht, wie gut sie zueinander sind. Dazu müsste man sie hören, ihren Ausdruck um den Mund und die Augen studieren, wenn der eine spricht und der andere zuhört.
Er bemerkte den ihm zugewandten einschätzenden Blick.
Was ist?
Sieht aus, als hättest du dich gut eingelebt hier – auf deiner Vogelweide.
Hab ich auch.
Ein älterer Mann, grauhaarig, mager, braungebrannt, in abgetragenen Jeans und in einem weißen Hemd, das er ihretwegen gestern mit einem flat iron gebügelt hatte. Inzwischen war es längst vom Wind und der Feuchtigkeit zerknittert. Und daneben diese Frau Mitte vierzig, in irgendeiner Markenjeans und mit modischen, nachtblau irisierenden Gummistiefeln, einem beigefarbenen Stoffmantel und einem großen, feinfarbig abgestuften, um die Schultern gelegten Schal. Mantel und Schal sah man die Qualität, das zart Weiche und dennoch Wärmende, den Luxus an. Kleidung für einen kühlen Tag in Kalifornien, aber nicht für die Nordsee.
Als hätte sie seine Gedanken erraten, fragte sie: Dir ist nicht kalt, so im Hemd?
Nein.
Sie kämpfte mit dem Wind und ihrem Haar, das sie sich immer wieder aus dem Gesicht streichen musste. Wie auffällig das durch eine geschickte Färbung natürlich wirkende Rostrot komplementär zu dem früheren, so erstaunlich grünlich schimmernden Messington zu sein schien. Was aber so gar nicht hierher passen wollte, waren ihre makellos lackierten Fingernägel, ein sorgfältig aufgetragenes Ferrari-Rot.
Fischst du hier?
Nein.
Herbert, der Mann, mit dem ich zusammenlebe, fischt im Pazifik. Er hat ein Motorboot und fährt hinaus. Ich mag das nicht, ich mag es nicht, wenn die Fische am Haken hängen, das Zucken und Schlagen, dieses wilde krampfartige Sterbenmüssen. Ich mag nicht das Angeln, aber ich esse gern Fisch. Inkonsequent, ich weiß.
Ich habe zwei Schollen gefangen, allerdings mit den Händen.
Wunderbar. Wie im Schlaraffenland.
Nun ja, ich habe ziemlich kalte Füße bekommen.
Er zeigte ihr die Pfähle der alten, von der Sturmflut weggerissenen Hütte.
So hoch kann
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