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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Wattwanderung ein großer Butt, durch den Tritt aufgeschreckt, direkt vor den Bauch gesprungen. Eschenbach ging, weil seine Füße von der Kälte fühllos geworden waren, an den Strand und setzte sich eine Zeitlang in den Sand. Stieg dann abermals in den Priel und konnte, er nannte sich selbst einen glückhaften Fischer, eine zweite Scholle greifen.
    Er trug die Fische zur Hütte hinauf. An der Treppe zur Galerie legte er die Schollen in einen Bottich mit Seewasser.

    Wachliegend führte er mit sich Gespräche, die er im Traum fortsetzte. Windstöße ließen die Hütte beben. Von einem besonders harten Stoß wurde er aufgeschreckt, und ihm war, als hätte jemand die Hütte betreten. Er knipste das Licht an. Und für einen Augenblick hatte er den seltsamen Gedanken, die Tür verriegeln zu müssen, blieb dann aber liegen und schlief bald ein.

    Früh morgens wachte er auf. Die Sonne war eben aufgegangen. Einen Traum hatte er noch deutlich vor Augen. Er hatte seinen Vater besucht, der in einem riesigen Treibhaus wohnte, das Teil eines botanischen Gartens war. Dort züchtete er den Tabak für die Mutter, ein Heilmittel gegen das Vergessen. Ihm, dem Sohn, machte er Vorwürfe, er habe die Pflanzen mit Teer beschmiert. Der Vater sagte das alles mit gütiger Miene, aber der Spaten in seiner Hand machte ihm Angst.

    Während er seinen Morgenkaffee trank, dazu eine Schnitte Schwarzbrot mit Tilsiter Käse und eine weitere mit Brombeermarmelade aß, die ebenfalls von Bauer Jessens Frau kam, überlegte er, wie der Teer in seinen Traum gekommen war, und versuchte es damit zu deuten, dass er vor zwei Tagen am Strand einige Ölklümpchen gefunden hatte. Offenbar hatte, was streng verboten war, ein Schiff altes Öl abgepumpt.

    Wie jeden Morgen hatte er an der kleinen, neben der Hütte angebrachten Wetterstation die Daten abgelesen: Temperatur, Windgeschwindigkeit. Eine überflüssige Tätigkeit, da die Daten elektronisch an die Wetterwarte in Hamburg übermittelt wurden. Die Sonne schien. Am Himmel Kumuluswolken, im oberen Bereich etwas ausgefranst, was auf eine stärkere Luftströmung in der Höhe schließen ließ, sie trieben von West nach Ost.
    Er hatte dann seinen Rundgang über die Insel gemacht. Der Falke saß noch im Gebüsch. Auch er ein Einsiedler. Er verhielt sich ruhig in dieser baumlosen Umgebung. Nur einmal hatte Eschenbach ihn beim Jagen beobachtet, wie er aus der Höhe in einen Sturzflug kippte, dann ein Zustoßen und einen Vogel, wahrscheinlich einen Star schlug.
    Nach dem Rundgang hatte er Kartoffeln und Zwiebeln geschält, die Rote Bete, das einzige Gemüse, das er auf der Insel entdeckt hatte, was nach der Vorschrift der Naturschutzbehörde hier gar nicht wachsen durfte, aufgesetzt. Den Tisch hatte er sorgfältig gedeckt, Servietten in Form eines Fliegers gefaltet und zwei Kerzen aufgestellt.

    Mittags stellte er den Liegestuhl auf die vom Wind geschützte Ostseite vor die Hütte und las wieder in Falling Man , war aber, obwohl das Buch ihn fesselte, eingeschlafen, traumlos, wie er glaubte, und erwachte erst, als das Meer sich schon zurückgezogen hatte und die feuchte braune Fläche des Watts mit den noch Wasser führenden Prielen im gleißenden Licht lag. Er suchte mit dem Fernglas den Horizont ab. Noch war das Pferdefuhrwerk nicht in Sicht. Er griff wieder zu dem Buch, konnte sich aber nicht konzentrieren, und als er abermals durch das Fernglas zur Insel Neuwerk hinüberblickte, war in der Ferne der offene, von zwei Pferden gezogene Wagen zu erkennen.
    Er ging zum Strand hinunter und setzte sich auf die kleine Düne, dort, wo der Wattweg an das Inselufer führte, wartete auf den langsam näherkommenden Pferdewagen. Schon konnte er sie erkennen. Sie saß neben Bauer Jessen, der die beiden Pferde immer wieder durch Schläge mit den Zügeln anzutreiben versuchte und sogar, was er sonst von ihm nicht kannte, mehrmals mit der Peitsche knallte. Die Pferde liefen dann spritzend im Trab, fielen bald aber wieder in einen mühevollen Schritt. Das ablaufende Wasser stand noch hoch, im Priel vor der Insel reichte es den Pferden weit über die Sprunggelenke.

Der Bauer grüßte nur kurz, blieb auf dem Kutschbock sitzen. Eschenbach streckte ihr die Arme entgegen und hob sie, fast stürzte sie ihm entgegen, von dem hohen Wattwagen herunter und in eine Umarmung. Sie küsste ihn nahe dem Mund auf beide Wangen.
    Schön, dass du da bist, sagte er.
    Dann nahm er den von ihm bestellten Proviant, die Milch, die Kartoffeln, Speck und

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