Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
Höhle, wo ihn die Dunkelheit verschluckte.
Mit einem wilden Schrei, der all meine unerbittlichen gälischen Götter beschwor, rannte ich blindlings hinterher. Es kümmerte mich nicht, dass der Brite womöglich hinter dem Eingang wartete, um mir den Schädel einzuschlagen. Mit einem schnellen Blick sah ich jedoch, dass die Höhlenkammer leer war, und bemerkte einen hellen Blitz, der auf der anderen Seite durch eine dunkle Türöffnung verschwand.
Ich sprang hinüber und wurde urplötzlich zum Halt gezwungen, als eine Axt mit einem Pfeifen aus dem Dunkel der Öffnung gefährlich dicht neben meiner schwarzen Mähne auf mich niederfuhr. Ich wich ein Stück zurück. Nun hatte Vertorix, der in der schmalen Öffnung des Korridors stand, die Oberhand, denn ich konnte ihn dort nicht angreifen, ohne mich den zerstörerischen Schlägen seiner Axt auszuliefern.
Ich schäumte beinahe vor Wut. Der Anblick der schlanken weißen Gestalt, die in den Schatten hinter dem Krieger zu erkennen war, versetzte mich in Raserei. Wild, aber überlegt, attackierte ich meinen Gegner mit gewaltigen Schlägen und wich dabei seinen Hieben aus. Ich wollte ihn zwingen, einen großen Schritt nach vorne zu machen, ihm dann ausweichen und ihn überrennen, bevor er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte. Im Freien hätte ich ihn dank meiner Kraft längst mit heftigen Stößen bezwungen, doch hier drinnen konnten nur dieses Vorhaben und meine Schwertspitze den Kampf zu meinen Gunsten entscheiden – die ganz Klinge wäre mir lieber gewesen. Aber ich war fest entschlossen – wenn ich ihm auch keinen tödlichen Hieb versetzen konnte, so konnten mir doch weder er noch das Mädchen entfliehen, solange ich ihn in diesem Tunnel festsetzte.
Dies schien nun auch Tamera erkannt zu haben, denn sie sagte Vertorix, sie wolle nach einem Ausgang suchen. Obwohl er ihr lautstark verbot, sich allein in die Dunkelheit zu wagen, drehte sie sich um, eilte den Tunnel hinunter und verschwand in der Finsternis. Mein Zorn wuchs ins Unermessliche, und beinahe wäre mir in meinem blinden Eifer der Kopf gespalten worden, denn ich wollte meinen Gegner unbedingt zu Fall bringen, bevor das Mädchen einen Fluchtweg fand.
Dann erschütterte die Höhle ein furchtbarer Schreckensschrei. Vertorix schrie ebenfalls wie ein tödlich getroffener Krieger auf, und sein Gesicht schimmerte aschfahl in der Dunkelheit. Er wirbelte herum, als habe er mich und mein Schwert vergessen, rannte wie ein Verrückter den Tunnel hinunter und rief kreischend Tameras Namen.
Aus weiter Ferne, wie aus den Eingeweiden der Erde, glaubte ich, ihr Rufen hören zu können, das mit einem fremdartigen, zischenden Geschrei vermischt war, das mir augenblicklich einen namenlosen Schreckensschauer durch den Körper jagte. Dann legte sich eine Stille über die Höhle, die nur durch Vertorix’ wilde Rufe durchbrochen wurde, die sich immer weiter ins Innere der Erde entfernten.
Ich fasste mich wieder, sprang in den Tunnel und eilte dem Briten ebenso leichtsinnig hinterher, wie er dem Mädchen nachgerannt war. Dabei ging es mir, berüchtigter Plünderer oder nicht, weniger darum, meinen Rivalen von hinten niederzustrecken, sondern zu erfahren, welch grauenhafte Kreatur Tamera mit ihren Klauen gepackt hatte.
Während ich durch den Tunnel rannte, sah ich, dass die Wände mit abscheulichen Bildern beschmiert waren, und begriff plötzlich mit Schrecken, dass dies die gefürchtete Höhle der Kinder der Nacht sein musste. Um sie rankten sich Erzählungen, die längst über die Meerenge nach Eire-ann gelangt waren und die dort in den Ohren der Gälen entsetzlich widerhallten. Ich musste Tamera in solch entsetzliche Angst versetzt haben, dass sie sich in diese Höhle wagte – die Höhle, die ihr Volk ängstlich mied, da in ihr, wie man sagte, die letzten Überlebenden jenes grausamen Volkes hausten, das das Land vor der Ankunft der Pikten und Briten bevölkert hatte, bevor diese es schließlich zur Flucht in die unbekannten Berghöhlen trieben.
Vor mir mündete der Tunnel in einen riesigen Raum. Ich sah Vertorix’ weiße Gestalt kurz im Halbdunkel aufleuchten und sofort im Eingang zu einer Art Korridor verschwinden, der genau gegenüber der Öffnung des Tunnels verlief, durch den ich rannte. Nur einen Augenblick später hörte ich einen kurzen, heftigen Schrei, dann den Knall eines harten Schlages und das hysterische Kreischen eines Mädchens, vermischt mit einem schlangenhaften Zischen, dass sich mir die Haare sträubten.
Weitere Kostenlose Bücher