Volk der Verbannten
Herr der Verbannten lächelte sie zur Antwort an: Es war ein verführerisches Lächeln, das seine Absichten weder verbarg noch verbergen wollte. Bara senkte auf seinem Stein missmutig den Kopf. Arekh starrte den Horizont an. Er wandte erst den Kopf, als Marikani ihn vorstellte.
»Neben ihm sitzt Arekh es Morales, der aus den Fürstentümern stammt. Er war Ratgeber der Krone von Harabec und Aida der Verteidiger von Salmyra. Er vertritt nur sich selbst, kommandiert aber achtzig Nâlas, die sich der Autorität des neuen Herrschers über das Emirat nicht beugen wollen. Nun, dem Herrscher über das, was vom Emirat übrig ist. Die Nâlas haben sich entschieden, sich erst einmal uns anzuschließen.«
»Ich trage auch die Verantwortung für zweihundert Flüchtlinge«, sagte Arekh kalt. »Ich muss sie nach Samara führen.«
»Arekh es Morales ist ein kluger Stratege und ein hervorragender Anführer«, fügte Marikani hinzu, ohne ihn anzusehen. »Von uns allen ist er sicher derjenige, der die beste militärische Ausbildung erhalten hat. Day-Yan, ich weiß, dass seine Ankunft hier wildbewegt war und dass Eure Männer gegen seine gekämpft haben, aber da es uns entschieden an erfahrenen Offizieren mangelt, wird seine Hilfe sehr wertvoll sein.«
Sie war Arekhs Blick noch immer nicht begegnet. Ein leichter Bluterguss an ihrer Lippe war die einzige Spur
des Eklats von vor ein paar Tagen. Marikani war schon in schlimmerer Verfassung aus zurückgekehrt, und niemand hatte Fragen gestellt. Niemand kannte die Wahrheit - bis auf Bara, dessen hasserfüllten Blick Arekh jetzt spürte.
Day-Yan hob die Hand, und Arekh rechnete mit Protest, aber zu seinem Erstaunen lächelte der Krieger: »Wir haben zwanzig Mann im Kampf gegen die Nâlas verloren, aber wir gewinnen achtzig von weit besserer Qualität, gar nicht zu reden von den Pferden. Und außerdem« - er deutete mit dem Finger auf Arekh - »habe ich diesen Kerl kämpfen sehen, als er von der Barrikade gestiegen ist. Ich habe ihn lieber auf unserer Seite als gegen uns. Er ist gefährlich, wenn er wütend ist.«
»In der Tat«, sagte Marikani mit einem schwachen Lächeln. »Und dann ist da noch Lionor Mar-Arajec«, erklärte sie, indem sie auf das letzte Mitglied des Kreises deutete. »Lionor ist meine Kindheitsfreundin und meine persönliche Ratgeberin.«
Lionor saß blass und stumm sehr aufrecht da. Arekh hatte seit dem Tod ihres Kindes mehrfach mit ihr gesprochen. In Anbetracht der Umstände war ihr Zustand ermutigend. Sie weinte nicht und antwortete deutlich und sinnvoll auf Fragen. Natürlich wirkte sie zerstreut, aber sie hatte gegessen und getrunken, davon hatte Arekh sich überzeugt. Er hätte geglaubt, dass sie über den Berg war, wenn sie nicht diese seltsame Abwesenheit an den Tag gelegt hätte: Sie schien durch die Leute hindurchzusehen, wenn sie mit ihr sprachen.
Lionor hatte ihr Kind vor dem Ayesha-Altar begraben und die »Priesterinnen« seltsame Rituale über seinem Grab abhalten lassen. Sie hatte den folgenden Abend auf
dem Boden ausgestreckt damit verbracht, die Sterne zu betrachten und mit dem Finger die eingebildeten Konturen der Runen am Firmament nachzuziehen, während sie den blauen Nebel am Himmel angestarrt hatte. So wäre sie bis zum Morgen vor Kälte zitternd liegen geblieben, wenn Arekh sie nicht gezwungen hätte, schlafen zu gehen; er hatte sie in die Arme genommen und sie bis zum Lager getragen, wo er sie in seine eigenen Decken gewickelt hatte.
Lionor hatte es wortlos geschehen lassen, als sei es eine ausgemachte Sache, dass Arekh ihr Beschützer geworden war - ein Beschützer, mit dem sie kaum sprach, den aber ein unsichtbares Band mit ihr verknüpfte. Das Band des Kerkers , dachte Arekh, als er sie ansah. So zierlich, so bleich … Narben entstellten das zerbrechliche Profil ihres Gesichts. Das Band der Folter . Ja, Lionor und er waren verbunden, durch irgendetwas Unbeschreibliches und Starkes, das aber keine Freundschaft war - und auch keine Liebe. Bei diesem Gedanken durchzuckte ein kurzer, aber heftiger Schmerz seine Brust. Schade. Das wäre so einfach gewesen. Aber die Liebe war etwas Schmerzhafteres, Ungerechteres, Zerstörerischeres und Brutaleres.
Er hob den Blick zu Marikani und bemerkte, dass er den Gesprächsfaden verloren hatte. Pier hatte ein rasches Plädoyer gehalten, um die Ayesha-Krieger dazu zu bringen, die Sakâs von Norden anzugreifen und die Barbaren so in die Zange zu nehmen. Eine blitzartige, unerwartete Attacke würde die
Weitere Kostenlose Bücher