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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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umzusehen. Er ging geradeaus und erreichte das Lager, in dem die Nâlas übten. Ohne auf Amîns Fragen zu achten, packte er eine Axt und begann, sich an einem Übungsklotz abzureagieren. Dieser Teil des Lagers war hoch gelegen; als er sich umdrehte, sah er die Ratsmitglieder und Marikanis weiße Silhouette: Sie war zu weit entfernt, als dass er ihre Züge hätte erkennen können, aber ihr Gesicht stand ihm vor Augen wie ein Gespenst, ein böser Geist, den er nicht verscheuchen konnte.
    Er drehte sich um und schlug erneut zu. Seine Axt
drang tief in den Baumstamm und blieb stecken. Amîn, der ihn beobachtete, konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.
    Arekh starrte seine Axt und das Holz an. Die Brust schmerzte ihm, als sei er verwundet.
    Er ließ die Waffe stecken, wandte Amîn den Rücken zu und stieg wieder hinab. Als er den Hof der Festung erreichte, war die Ratssitzung gerade zu Ende gegangen. Day-Yan und die übrigen Krieger kehrten plaudernd und lachend zu ihren Truppen zurück. Marikani verschwand im Innern der Festung.
    Arekh eilte mit großen Schritten vorwärts und stieß einen Wächter beiseite, der ihn davon abhalten wollte einzutreten - langsam wurde ihm das zur Gewohnheit. Er nahm den Gang, der zu dem großen Säulensaal führte. Heftig riss er den Teppich beiseite, so dass Marikani, die nur einige Schritte dahinter stand, zusammenzuckte.
    Sie drehte sich um und sah ihn an. Arekh zögerte. Das Atmen tat ihm weh. »Marikani«, knurrte er schließlich und wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte.
    »Ich habe keine Wahl«, erwiderte sie sofort, als hätte er eine lange Rede gehalten und ihr damit die Zeit gegeben, eine Antwort vorzubereiten. Sie drehte ihm den Rücken zu und ging zum Tisch hinüber, auf dem zusammengerollte Landkarten lagen. »Meine Verantwortung gilt meinem Volk. Für meine Leute muss ich die beste Lösung wählen. Die, bei der es die wenigsten Toten gibt. Wenn die Armeen der Sakâs und die von Reynes sich im Süden gegenseitig umbringen, werden wir Samara ungestört erreichen.«
    Arekh marschierte zum Tisch und baute sich auf der anderen Seite auf, ihr gegenüber. Die junge Frau ignorierte
ihn und beschränkte sich darauf, mit dem Finger imaginäre Linien auf eine Landkarte zu zeichnen.
    »Und dann?«, stieß Arekh hervor. »Dutzende, ja Hunderte von Schiffen in den Werften bauen lassen? Von wem? Von den toten Arbeitern eines zerstörten Königreichs? Mit welchem Material? Von welchen Schiffsbauern, wenn Kiranya, Kinshara und die Fürstentümer nur noch Asche sind? Wie willst du eine Werft in Betrieb halten, wenn um dich herum die Königreiche brennen?«
    Diesmal hob sie den Blick, und das bedauerte Arekh fast. Sie musterte ihn wie einen Feind, einen Gegner, bei dem man im Voraus weiß, dass man ihm nicht entgegenkommen wird. »Wie ich sie in Betrieb halten werde? Indem ich die Arbeiter und die Verantwortlichen als Geiseln nehme - und die Stadtbevölkerung dazu. Jedes Mal, wenn jemand sich weigert, mitzuarbeiten, werden wir die Familie des Aufsässigen hinrichten. Sie werden uns binnen kürzester Zeit gehorchen.«
    Arekh starrte sie mit offenem Mund an.
    Dann ging er langsam um den Tisch herum, um sich ihr zu nähern, sie zu berühren. Er hob sanft die rechte Hand und ergriff ihr Handgelenk. Sie zuckte leicht zurück, entzog ihm ihre Hand aber nicht.
    »Marikani«, wiederholte er, als ob das Aussprechen ihres Namens den Fluch brechen und den Eispanzer sprengen könnte, der sie umgab. »Marikani, glaubst du nicht, dass eher ich diesen Vorschlag machen sollte? Und dass du protestieren solltest?«
    Es herrschte Schweigen, während Arekh in der Tiefe ihrer braunen Augen nach … ja, wonach suchte?
    Marikani senkte den Kopf. »Was willst du damit sagen?«
    »Dass es mir zukommt, zynische Vorschläge zu
machen, und dass du diejenige bist, die dagegen aufbegehrt. Mir sagt, dass jedes Leben kostbar ist, jedes Leid eine Schande …«
    Mit plötzlicher Heftigkeit entriss Marikani ihm ihre Hand. Als sie sich ihm wieder zuwandte, funkelten ihre blutunterlaufenen Augen vor Zorn. »Wie kannst du es wagen?«, zischte sie, und Arekh wich vor der Gewalt ihres Hasses zurück. »Wie kannst du es wagen, mich zu belehren? Weißt du, wie viele Frauen und Kinder an Hunger, Kälte und Krankheit gestorben sind, während wir die Berge überschritten haben? Lionors Kind ist tot, das hat ihr das Herz gebrochen, und es tut mir sehr leid für sie«, setzte sie hinzu, und ihre Stimme wurde noch schriller,

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