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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Entscheidung nie bereut. Die Armee war sein Leben geworden. Obwohl er, weil er kein Adliger war, nie zum Offizier würde aufsteigen können, führte er ein sehr viel erfüllteres Leben, als er es
getan hätte, wenn er den Laden seines Vaters übernommen hätte, wie dieser es sich wünschte.
    Rehal hatte manchmal noch Albträume davon: Er sah sich von morgens bis abends hinter dem Tresen stehen, staubige Stoffballen ab- und wieder aufwickeln, die in gewaltigen Regalen in den dunklen Tiefen des Ladens seiner Familie lagerten. Er sah sich von Staub und Langeweile verschlungen und verschluckt, ertränkt in Feuchtigkeit, in der er zum Schatten zwischen anderen Schatten wurde, bevor er verschwand und auf ewig vergessen wurde.
    Dann fuhr er immer aus dem Schlaf hoch und keuchte erleichtert, wenn er die vertrauten Wände des Zimmers in der Festung und die Sonne auf den Mauern sah und Stimmen, Gelächter und den fröhlichen Hörnerklang hörte.
    Aber dann war der Krieg gekommen. Drei Tage nachdem die Sakâs die Berge überquert hatten, waren Rehal und der Rest seines Zia schon durch den Schlamm des Nordens gestapft.
    Rehal hatte nie einen Feind zu Gesicht bekommen. Trotz seiner Ausbildung hatte er noch nie im Kampf getötet. Als der Offizier verkündet hatte, dass sie sich am nächsten Tag den Sakâs entgegenstellen würden, um einen Hügel zu verteidigen, dessen Lage Rehal noch nicht einmal auf einer Karte hätte bezeichnen können, hatte er sich beim Feuer zusammengekauert und seinen Ohren nicht getraut. Im Lager waren Gerüchte im Umlauf. Die Sakâs hatten - so erzählte man sich - die Rekrutenarmeen niedergemetzelt, die den Norden der Fürstentümer hatten verteidigen sollen. Hunderte, ja Tausende von Leichen verwesten im Regen. Es hieß auch, die Sakâs seien
unbesiegbar, und die Kreaturen der Abgründe ritten an ihrer Seite und beschützten sie mit Hexerei.
    Die Offiziere hatten versucht, sie zu beruhigen. Ja, es hatte viele Tote unter den Rekruten gegeben, aber das waren eben bloß Rekruten gewesen - Bauern und Dörfler, denen man eine Lanze gegeben hatte, bevor man sie in den Tod schickte. Das würde diesmal nicht geschehen: Rehal und seine Kameraden waren keine Anfänger. Sie waren Berufssoldaten, und der Segen des Hohepriesters Laosimba würde sie vor dem Bösen der Abgründe schützen.
    Am folgenden Tag waren zwei von Rehals vier Kameraden vor seinen Augen im Schlamm gestorben. Panas war sofort tot gewesen: Er war kopfüber gestürzt und hatte dabei einen Blutstrom ausgespien, nachdem die Klinge eines Sakâs ihm in die Lunge gedrungen war. Mevier hatte, am Kopf getroffen und mit aufgerissener Brust, minutenlang im Todeskampf gelegen und um Hilfe gefleht, aber niemand war gekommen. Rehal und die anderen Überlebenden hatten die widersprüchlichen Befehle ihrer in Panik geratenen Vorgesetzten befolgt und den Rückzug angetreten.
    Dennoch war die Schlacht von einem Sieg gekrönt gewesen - das hatte ihnen der Hauptmann am Abend gesagt, als sie das Lager aufgeschlagen hatten. Zumindest war es keine Niederlage gewesen. Sie hatten die Stellung gehalten, und das war den anderen Zias in der Gegend nicht gelungen. Überall um sie herum waren die Sakâs vorgerückt.
    Rehal hatte im Kampf niemanden getötet. Keinen einzigen Sakâs. Seine beiden Freunde waren gefallen, und er hatte nichts getan … Er war mit ganzem Herzen bei der
Sache gewesen, aber sein erster Hieb war vom Schild seines Gegners abgeprallt. Dann hatte dieser zurückgeschlagen. Als Rehal hatte parieren wollen, war er ausgeglitten und in den Schlamm gestürzt. Als es ihm endlich gelungen war, mit durchnässten Kleidern und triefendem Kettenhemd wieder aufzustehen, hatte er den Feind angreifen wollen, um sich zu rächen, um die Tränen zu vergessen, die ihm vor Wut und Angst übers Gesicht flossen, aber ein Offizier hatte ihn aufgehalten und ihm befohlen, die Verteidigungslinie weiter rechts zu verstärken. Dort hatte Rehal einen Sakâs am Arm verwundet - aber bevor er die Auswirkungen seines Angriffs näher hatte betrachten können, hatte er einen Schlag auf den Kopf bekommen und war erneut gestürzt.
    Rehal war ein wenig später wieder zu sich gekommen, als zum Rückzug geblasen worden war.
    Am Folgetag waren neue Gerüchte in Umlauf gewesen. Die Kreaturen der Abgründe waren nicht echt. Marasi del Braven, ein Leutnant des Zia , der die drei Meilen entfernte Stadt Peirera besetzt hielt, hatte zwei dieser »Kreaturen« angegriffen und sie getötet. Als man den

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