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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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wissen es. Ich weiß nicht, ob die Götter am Werk sind oder etwas anderes, aber du … du hältst das Schicksal in der Hand. Du bist Ayesha.« Marikani öffnete den Mund, um zu widersprechen, und Lionor packte sie so heftig an der Schulter wie vor einigen Stunden noch Arekh. Dann hob sie die Hand zum Himmel. »Sieh doch!«
    Sie deutete auf den blauen Nebel am Himmel. »Du kannst leugnen, so viel du willst, alles rational erklären, so oft du möchtest, über die Religion spotten, wie du es so gern tust. Aber wie erklärst du das? Wie erklärst du, dass der türkisfarbene Stern genau in dem Moment explodiert ist, als du die Hand gehoben hast?«

    »Lionor, diese Diskussion habe ich schon Hunderte von Malen geführt«, seufzte Marikani. »Sterne leben und sterben. Das ist ein seltenes astronomisches Phänomen, aber …«
    »Nur weiter«, zischte Lionor so giftig, dass Marikani sie verdutzt anstarrte. »Wenn du dich selbst überzeugst, wunderbar. Uns wirst du nicht überzeugen! - Weißt du, was eine Göttin ist?«, fügte sie hinzu, bevor Marikani wieder das Wort ergreifen konnte. »Weißt du es?«
    Marikani zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass ich keine bin«, begann sie, aber Lionor unterbrach sie erneut.
    »Eine Göttin ist ein Wesen, das das Angesicht der Welt verändert.«
    Plötzlich verärgert, stand Marikani auf. »Es reicht«, sagte sie zornig. »Es reicht.« Und auf einmal wurde ihre Wut zu Kummer, und sie konnte sich gerade noch davon abhalten, tränenüberströmt auf der Bank zusammenzubrechen. »Lionor, bitte: Tu mir das nicht an. Nicht du. Du warst die Einzige … die Einzige, auf die ich immer zählen konnte. Die Einzige, die nicht wahnsinnig war, nun, da Arekh …« Sie hielt inne.
    Lionor starrte sie an. »Arekh ist gegangen?«
    »Ja, kein Wunder«, stieß Marikani hervor. »Männer! Entweder verlassen sie einen, oder sie liefern einen dem Henker aus. Aber ich bin nicht bitter, nein, gar nicht«, fügte sie mit einem kleinen, kalten Lachen hinzu. »Weder bitter noch ungerecht, das ist nicht meine Art.« Sie lachte noch mehr, bevor sie sich beruhigte, und erklärte: »Doch, ich bin ungerecht. Er ist abgereist, um zu versuchen, Reynes zu retten. Das ist heldenhaft, romantisch, dumm, tapfer, verzweifelt. Ich könnte noch eine ganze Reihe
lobender Adjektive finden, wenn ich Lust dazu hätte. Ich höre beinahe schon die passende Musik erklingen!«
    »Es wird ihm nicht gelingen«, sagte Lionor schulterzuckend. »Ayeshas Rache fährt auf die Königreiche nieder.« Sie lächelte, ein strahlendes, glückliches Lächeln; ihre Augen leuchteten vor Freude. »Sie werden verbrennen«, zischte sie, »sie werden alle verbrennen. In ihren Folterkellern, in ihren Gängen, in ihren Palästen, ihren bunten Türmen und Basaren. Sie werden für das, was sie getan haben, bezahlen, für das, was sie zugelassen haben, Männer und Frauen, die dachten, ihre Gatten und Kinder wären sicher, beschützt in ihren Armen, hinter ihren Mauern und Befestigungen … Aber die Rache wird sie endlich treffen, denn darauf wartet sie seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden. Sie wird endlich zuschlagen, und ich hoffe, ich bete, ich bin endlich glücklich, ich lache, ich tanze, während ich darauf warte, dass die Stadt in einem Flammenmeer zusammenstürzt, dass sie brennt, brennt, brennt !« Sie schwieg lange. »Und ich bin glücklich«, wiederholte sie dann. »Glücklich …«
    Marikani blieb reglos stehen und starrte Lionor verstört an.

KAPITEL 14
    Die Felsen am Waldrand lagen in fahlem Sonnenlicht. Das Moos, der Farn und die großen, rötlichen Blätter der Laeyn - Pflanzen färbten die Wiesen orange und braun. Die zehn Kundschafter aus Reynes rückten vorsichtig von Baumstumpf zu Felsen vor, verbargen sich hinter Bäumen und eingestürzten Mauern.
    Der jüngste, Rehal, war neunzehn Jahre alt gewesen, als er sich vor acht Jahreszeiten aus Liebeskummer verpflichtet hatte. Das erste Jahr, das er damit verbracht hatte, seinen Beruf in den Festungen von Reynes zu erlernen, war eine Erleuchtung gewesen. Der Sold war gut, und an drei Tagen jeden Mond zog Rehal mit den vier Kameraden aus seinem Fali - seiner Gruppe - in die Stadt. Seine Freunde waren genau wie er Bürger- oder Kaufmannssöhne und hatten ihre helle Freude daran, ihren Sold in Bädern, Tavernen und Freudenhäusern zu verprassen. Zwei solche Ausflüge hatten gereicht, Rehal das Gesicht des Mädchens vergessen zu lassen, das ihm das Herz gebrochen hatte. Er hatte seine

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