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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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wanden.
    Die ersten beiden Armeen - eine rückte offenbar etwas schneller vor als die andere - schienen die Stadt im Südwesten umgehen zu wollen; sie hielten auf den unteren Pass zu, auf Gilas es Maras’ Armee. Auf uns , begriff Rehal und zuckte zusammen, und wie zur Antwort auf seine Befürchtungen knackte die Wurzel, auf die er seinen rechten Fuß gestützt hatte. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte beinahe ins Leere. Nur der verzweifelte Reflex, sich nach hinten zu werfen, bewahrte ihn vor dem Schlimmsten. Er klammerte sich an einer Efeuranke fest, die unter seinem Gewicht fast sofort nachgab, dann an einem Ast, während die von innen verrottete Wurzel abbrach und fiel; sie prallte auf dem Weg nach unten mehrfach auf, bevor sie in der Tiefe verschwand.
    Rehal verkrampfte sich. Er wusste nicht recht, womit er rechnete - damit, dass dort unten, in der Ebene, die vier Sakâs-Armeen anhalten und sechstausend Gesichter zu ihm hochschauen würden? Aber natürlich geschah
das nicht. Die vier Schlangen rückten weiter vor. Rehal bekam wieder Luft und setzte seine Beobachtung fort.
    Die beiden anderen Armeen zogen direkt nach Süden. Direkt auf Reynes zu.
    Auf seine Stadt zu.
    Einen Moment lang tanzte das Bild des Ladens und der Tuchballen wieder vor Rehals innerem Auge - und auch die Gesichter seines Vaters und seiner Mutter, die so geweint hatte, als er sich verpflichtet hatte … Und die seiner beiden Schwestern, besonders das Lityas, der älteren, die so oft lachte und einen Händler im Ratsviertel geheiratet hatte, der Dörrfleisch und Gewürze verkaufte.
    Und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit sah er auch wieder das Gesicht der jungen Frau, die er so sehr geliebt hatte, die ihn betrogen und über die er nie hinwegzukommen geglaubt hatte. Safrima.
    Die Sakâs marschierten direkt auf sie zu. Direkt auf sie alle.
    Rehal stand einen Augenblick wie erstarrt da, bevor er die Fassung zurückgewann.
    Noch war nicht alles verloren. Sie würden kämpfen. Erst einmal musste er ins Lager zurückkehren, um zu melden, was er gesehen hatte.
    Und dazu musste er zu den anderen zurück.
    Es gelang Rehal, sich äußerst vorsichtig zurückzuziehen und wieder in das Wäldchen hinaufzusteigen. Er kehrte auf dem Weg zurück, auf dem er gekommen war, ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen; er beeilte sich, um zu seinen Kameraden jenseits der Wiese zu gelangen.
    Das Erste, was er sah, war Dravos’ Leichnam, dem ein
Armbrustbolzen in der Kehle steckte. Rehal drehte sich langsam um, blickte ins hohe Gras.
    Acht weitere Leichen lagen am Boden.
    Rehal wirbelte herum und wollte gerade die Flucht ergreifen, als der Armbrustbolzen eines Sakâs ihm die Brust durchschlug.
     
    »Ich will die Westmauer noch vor Sonnenuntergang erreichen«, verkündete Harrakin.
    Unter ihm zogen Fußsoldaten und Reiter die gepflasterte Straße hinunter, die am alten Festungsgürtel entlang auf den Lafi-Turm zuführte. Die Entscheidung, die Marschroute zu ändern, war vor kaum einer Stunde gefallen. Drei Spähtrupps waren zum Bergkamm hinaufgeschickt worden. Keiner war zurückgekehrt. Dreißig Mann, wie im Nichts verschwunden. Die Sakâs hielten also bereits den Höhenrücken des Großen Kreises. Das hieß, dass mindestens eine Sakâs-Armee nach Südwesten abgebogen war, statt aufs Große Tor vorzurücken.
    Wenn Feinde Reynes angriffen, dann von Norden her - das lehrte die Geschichte, die Harrakin und Gilas es Maras, die beide aus adligen Familien stammten, auswendig kannten. Im Norden lag die weite Ebene, im Norden lag das Große Tor von Reynes, das die feindlichen Armeen einzurennen versuchten. So war es immer. Und sie hatten alle angenommen, dass die Sakâs diesem Brauch folgen würden.
    Vor allem hatten die eingeholten Informationen das scheinbar bestätigt. Die Barbarenarmeen waren durch den Norden des Emirats an Kiranya entlanggezogen, bevor sie nach Süden abgebogen waren. Die Armeen des kleinen Königs von Kiranya und des Gouverneurs
von Kinshara und die zweite und dritte Armee von Reynes, die unter dem Befehl von Gilas’ Cousin Pilanos es Maras standen, formierten sich wohl gerade jetzt nördlich des Großen Tors, um den Sakâs den Weg zu versperren.
    Harrakin hatte Gilas überredet, nicht zu ihnen zu stoßen.
    »Das ist ein großes Risiko«, wiederholte Gilas.
    Sie saßen beide zu Pferde auf einer Anhöhe und beobachteten, wie die Truppen an ihnen vorbeizogen. In der Ferne lagen die Stadtmauern und der Lafi-Turm, bei dem sich einst ein

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