Volk der Verbannten
einem schuldbewussten kleinen Zusammenzucken wieder fing.
Der König der Sakâs lachte leise. »Mach dir keine Gedanken, Kleine. Ich weiß, wo sie ist.«
»Ich bringe Euch in der Tat eine Antwort«, verkündete Non’iama. »Ayesha sagt, dass sie verhandeln will. Dass sie sich der einen oder anderen Seite zuneigen könnte und sehen will, wer ihr den interessanteren Vorschlag macht.«
»Wirklich? Nun, das ist sehr … pragmatisch für eine Göttin.« Der König musterte seine Nissia, nahm einen
letzten Zug und warf sie dann von der Klippe. Das kleine, orangefarbene Licht taumelte einen Moment lang durch die Luft, bevor es verschwand. »Gut, das klingt vernünftig. Was wünscht sie? Im Gegenzug für ihre Hilfe oder wenigstens ihre Neutralität?«
»Gold. Einen Teil des Schatzes der Ratsversammlung - sie sagt, Ihr müsst mit ihr darum verhandeln. Und auch die Hälfte der Vorräte aus den Lagerhäusern, Material und Arbeiter, um in Samara Schiffe zu bauen. Und vor allem die Versicherung, dass Ihr nicht nach Norden vorstoßt. Dass Ihr Kinshara und die Werften nicht zerstört, bevor sie mit allem fertig ist.«
»Grob gesagt überlasse ich ihr also den Norden und nehme den Süden?«
Non’iama nickte. »Der wirtschaftliche Niedergang Kinsharas könnte die Abreise des Türkisvolks gefährden.«
»Du bist ein guter Papagei, Kleine. Hat sie dich das auswendig lernen lassen?«
»Satz für Satz.«
»Ich verstehe. Warum hat sie nicht geschrieben?«
»Der Brief hätte in die falschen Hände fallen können. Sie hat gesagt, dass sie mir mehr vertraut als einem Fetzen Papier«, fügte Non’iama lächelnd hinzu. »Sie will Euch morgen treffen, bei Sonnenaufgang an einem geschützten Ort. Ich werde bei Euch sein, um …«
Der König der Sakâs sprang auf, und Non’iama wich mit einem kleinen Schreckensschrei zurück. Der König trat einen Schritt vor, packte den Arm der Kleinen, damit sie nicht in den Abgrund stürzen konnte, und versetzte ihr mit voller Wucht eine Ohrfeige. »Du wirst mich doch nicht in eine Falle locken, Mädchen?«, fragte er in so sanftem Ton, dass Non’iama vor Entsetzen wimmerte.
»Du bist doch wohl nicht dabei, mich anzulügen? Ich spüre einen unbeholfenen Versuch, mich irgendwohin zu locken, wohin ich besser nicht gehen sollte …«
Non’iama schwieg; Tränen flossen ihr über die geschwollenen Wangen.
Der König der Sakâs packte sie an der Kehle. »Was hat Ayesha wirklich zu dir gesagt?«
»Das, was ich Euch wiederholt habe!«, brachte Non’iama heraus.
»Und das ist keine Falle?«
»Nein!«
Non’iama hatte in wütendem Tonfall gesprochen; der König ließ sie los. Das kleine Mädchen fiel zu Boden. Ihr Körper wurde von Schluchzern des Zorns und der Angst geschüttelt.
Der König beobachtete sie einen Moment lang. »Wiederhol das.«
»Es ist so, wie ich gesagt habe! Ich lüge nicht!«
»Gut«, sagte der König nach einem Augenblick des Nachdenkens. »Du bist aufrichtig. Aber sie ist es vielleicht nicht.« Non’iama richtete sich mit funkelnden Augen auf. »Sie hat dich vielleicht belogen, damit du deine Aufrichtigkeit in aller Unschuld beschwören kannst und …«
»Nein!«, wiederholte Non’iama und trat mit feurigem Blick auf den Sakâs-König zu, als wolle sie ihn schlagen. »Sie würde mich nicht zu Euch schicken, wenn sie Euch verraten wollte. Sie würde mich nicht in Gefahr bringen. Sie hat Arekh geschworen …«
Der König sah sie neugierig an.
Non’iama stemmte die Hände in die Hüften. »Sie hat Arekh geschworen, dass sie mich nicht in Gefahr bringen würde!«
»Und deshalb hat sie dich als Boten gewählt? Deshalb schickt sie dich, ein hilfloses Kind, allein ins feindliche Lager?«
Dieses Argument machte Non’iama für einen Augenblick sprachlos. Dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist keine Falle«, wiederholte sie starrsinnig.
»Du wirst an meiner Seite sein«, sagte der König leise.
Marikani war noch immer nicht da, und diejenigen, die zu der Verhandlung geladen worden waren, warteten schweigend. Arekh warf einen Blick zum Tisch hinüber, sah Laosimba und entfernte sich sofort; er ging zum Rand des Steilhangs, um das Schlachtfeld unter ihnen zu betrachten.
So fern und doch zugleich so nah. Was würde aus Amîn werden? Wenigstens würde er sich etwas ausruhen können.
Aber Arekhs Anstrengungen zum Trotz wanderten seine Gedanken nicht zu Amîn.
Er hatte geglaubt, er würde sie nie wiedersehen. Als Amîn ihm Ayeshas Ankunft gemeldet hatte, war etwas in
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