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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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anwesend seid.«
     
    Die Hänge waren von Raubkatzen bedeckt. Tausende von Männern mit blauen Gesichtern und langen, schmutzigen blonden Haaren, die in zusammengestückelte Kleidung und einzelne Rüstungsteile gehüllt waren, saßen im Schneidersitz auf dem Boden. Die Feuer der Sakâs befanden sich tief unter ihnen, und nur das Licht der Monde beleuchtete die Gesichter der Anwesenden.
    Marikani hatte den Verhandlungsort ausgewählt: auf halber Höhe des Ostteils des Großen Kreises in einer natürlichen Senke, die eine Art Amphitheater bildete. Harrakin trat an den Tisch heran - einen echten Holztisch, der im Gras auf der »Bühne« stand. Die Raubkatzen, die an den Hängen saßen, bildeten das Publikum. Wenn die Anführer des Bündnisses der Königreiche erst am Tisch versammelt waren, würden sie nur den Blick heben müssen, um Ayeshas Männer zu sehen, die überall über ihnen bis an den Horizont saßen.
    Eine gelungene Inszenierung!
    Harrakin war erschöpft. Er war nicht verwundet, aber die Übermüdung und Anspannung der letzten Tage lasteten auf seinem Körper und seinem Kopf wie eine metallene Krone. Ein stechender Schmerz wrang ihm den Verstand aus - ein Schmerz, den er nur zu gut kannte. Schlafmangel. Aber er konnte nicht schlafen. In den kommenden Stunden würde er all seine Intelligenz und Wachheit für das brauchen, was um diesen Tisch herum geschehen würde.

    Fünf Personen saßen schon daran - und ein Teil von Harrakins Migräne verflog, als er Laosimbas Gesicht sah.
    Der Hohepriester war aschfahl. Vor Zorn, vor Demütigung, vor Wut. Gezwungen zu sein, sich an den Tisch der Demeana zu setzen - der Feindin seiner Götter, der Frau, die er in der Hand gehabt hatte, bevor sie ihm entkommen war -, musste für ihn fast den Folterqualen gleichkommen, die er so vielen Unglücklichen zugefügt hatte. Aber Laosimba war sich über die Lage im Klaren. Wenn er eine Chance hatte, Hilfe zu erhalten, durfte er sie nicht vergeben. Harrakin ging um den Tisch herum, ohne sich hinzusetzen. Noch waren nicht alle Teilnehmer da, und Marikani war nirgends zu sehen. Sie ließ auf sich warten … absichtlich. Das war ein Teil der Inszenierung. Wenn sie, wie man erzählte, mehr als viertausend Mann befehligte, dann hatte sie die Macht dazu. Sie konnte sie zappeln lassen und es sich erlauben, sie hierher zu zitieren.
    Und sie hatte sicher vor, sie das spüren zu lassen.
    Am Tisch saßen auch Gilas es Maras und sein Cousin. Und zwei Männer, die Harrakin noch nie gesehen hatte: Sicher zählten sie zu Marikanis Leutnants. Einer von ihnen, der Bara hieß, hatte Harrakin lange mit seltsamem Blick gemustert, in dem sich Neugier, Eifersucht und Hass vermischten. Jetzt unterhielt er sich mit gesenkter Stimme mit seinem Tischnachbarn, und Harrakin beobachtete sie einen Moment lang, versuchte, seine Gedanken von dem abzulenken, was unten, zu ihren Füßen, geschah. Gilas und er hatten ihre Leute unter dem Befehl ihrer Offiziere zurückgelassen. Es waren fähige, vertrauenswürdige Männer, aber das Zahlenverhältnis wirkte sich zu ihren Ungunsten aus.

    Sie verloren an Boden, Stück für Stück. Wie viel mehr würden sie verloren haben, wenn sie zurückkamen?
    Dann richtete er den Blick wieder auf Laosimba und spürte, wie sich seine Laune angesichts des ohnmächtigen Zorns, der in den Augen des Hohepriesters tobte, ein wenig hob.
    Zumindest eines, was ihm den Abend verschönte!
     
    Luisi del Virnas fühlte die Keule auf seinen linken Arm prallen und schrie vor Schmerz. Neben ihm führte ein Sakâs seine Fackel heran, und in einer Aufwallung von Zorn und Angst stürzte sich der Soldat auf ihn und warf ihn zu Boden, bevor das Feuer das Fässchen erfassen konnte, das unterhalb des Großen Tors niedergegangen war. Der Sakâs fiel schreiend, und trotz der Schmerzen stieß Luisi mehrfach zu: in die Brust, in die Kehle, bis der Barbar sich nicht mehr rührte.
    Schlechte Arbeit - Luisis Hauptmann hätte über ihn gespottet. Nach fünfzehn Jahren Kriegsdienst und mehreren Heldentaten, die ihm das Recht erworben hatten, das Zeichen des Fîr auf der Stirn zu tragen, hätte Luisi eigentlich in der Lage sein sollen, einen Feind mit einem einzigen Hieb zu töten. Aber nach über zwölf Stunden ununterbrochenen Kampfes vernebelte ihm die Erschöpfung den Verstand. Auch die Angst und der Hass trugen dazu bei. Luisi war nur ein Soldat unter so vielen anderen, aber er hätte nie geglaubt, dass die Sakâs das Große Tor erreichen könnten, dass es

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