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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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…«
    » Mögen die Soldaten, die Arrethas schützt, ihre Armbrustbolzen in der Schlacht abschießen, wenn Freund und Feind ins Handgemenge verstrickt sind! Sie werden nur ihre Gegner treffen, denn Arrethas wird ihre Geschosse lenken . Erinnert Ihr Euch an diese rituellen Worte?«
    Der Offizier starrte ihn an; er schwankte zwischen Furcht und Begeisterung. »Natürlich, Majestät, aber … es ist Jahrhunderte her, dass …«

    »Vertraut Ihr der Macht des Arrethas nicht, Hauptmann?«, fragte Harrakin mit einem schwachen Lächeln. »Ist die menschliche Ungeschicklichkeit größer als die Macht der Götter?«
    Der Mann zögerte erneut; dann leuchtete ehrfürchtige Freude in seinen Augen auf. »Bei Murufer, Majestät, Ihr habt recht! Verzeiht mir mein Zaudern. Die Götter haben bewiesen, dass sie heute über uns wachen. Ich werde die entsprechenden Befehle geben.«
    Während der Hauptmann seine Männer aufstellte und sie aufforderte, ein Gebet zu sprechen, spannte Harrakin seine Armbrust.
    Sobald das Gebet vorüber war, gab der Hauptmann das Signal. Die Soldaten schossen eine erste Salve von Armbrustbolzen ab, und Schreie ertönten aus dem Durcheinander von Menschen in der Nähe der Klippe.
    Während sie nachluden, hob Harrakin seine Armbrust und zielte.
    Gründlich.
    Acht Stunden später, als zwangsweise dazu herangezogene Stadtbewohner aufs Schlachtfeld kamen, um die Toten einzusammeln, fanden sie den Leichnam des Hohepriesters, in dessen Genick ein Armbrustbolzen steckte.
     
    Reynes war nicht gefallen.
    Der Abend schritt voran, und im rötlichen Schein der untergehenden Sonne gewann die beschädigte Stadt ihre Pracht zurück. Die letzten Brände waren gelöscht worden, und nur einige Rauchschwaden erinnerten noch daran, dass es dem Feind gelungen war, einzudringen. Das Schlachtfeld, das nun nur noch von Soldaten bevölkert war, die sich um die Verwundeten kümmerten, bot
im blutfarbenen Licht einen trügerisch romantischen Anblick.
    Marikani ließ sich nicht täuschen. Sie war zu weit entfernt, um das Wimmern der Hunderten von Sterbenden zu hören, die die Morgendämmerung nicht mehr erleben würden, aber sie wusste, wie ein Gelände nach einem Kampf aussah. Ihm ging jegliche Schönheit ab.
    Aber Reynes …
    Die Stadt war wunderschön, das musste man zugeben, besonders um diese Zeit, wenn die stolzen Silhouetten ihrer Türme sich golden und purpurn färbten. Das Ayesha-Volk würde abreisen - das Lager noch heute Abend abbrechen -, um wieder nach Norden zu ziehen. Marikani würde diese Stadt nie wiedersehen. Sie wusste, dass sie sich, indem sie von ihr Abschied nahm, auch vom Symbol ihres vorherigen Lebens verabschiedete. Reynes stand für alles, was sie hinter sich ließ.
    Und dennoch …
    Dennoch war sie nicht traurig. Im Gegenteil. Marikani holte tief Luft und ertappte sich bei einem Lächeln. Die Sakâs waren fort, die Reise ihrer Leute nach Samara war gesichert, sie würden genug Geld und Nahrung zum Bau der Flotte haben. Und vor allem … Arekh war am Leben. Ein Mann aus dem Emirat hatte es ihr gerade gemeldet.
    Nach einem letzten Blick auf die Stadt drehte sie sich um und ging langsam ins Lager. Die Sonne war untergegangen, und die ersten Sterne erschienen. Marikani blickte auf und lächelte, als sie sah, wie die seltsamen türkisfarbenen Wirbel sich am Firmament abzeichneten.
    »Ayesha«, sagte Day-Yans Stimme hinter ihr. »Bara ist verschwunden.«

     
    Haîk hatte Baras Abwesenheit bemerkt, als er den Befehl zum Aufbruch gegeben hatte. Niemand erinnerte sich, dass er ihn beim Angriff hatte fallen sehen - eigentlich erinnerte sich auch niemand, ihn überhaupt kämpfen gesehen zu haben. Haîk und Farer hatten angenommen, er sei mit Day-Yan den Hang hinuntergeeilt, Day-Yan hatte gedacht, er sei an Ayeshas Seite geblieben, um sie zu beschützen.
    Niemand hatte ihn seit seinem Gespräch mit Marikani auf dem Grat gesehen.
    »Die Sakâs haben ihn ermordet«, sagte die junge Frau entsetzt, während sie das Lager und die Felsen absuchen ließ; sie befürchtete, jeden Augenblick einen von einem Armbrustbolzen durchbohrten Leichnam zu finden. »Er hätte die Schlacht niemals versäumt … Es müssen Sakâs bis hierher vorgedrungen sein und ihn in einen Hinterhalt gelockt haben.«
    Sie fanden seinen Leichnam in seinem Zelt. Bara war nicht ermordet worden. Kein Sakâs war ins Lager eingedrungen, und wie um jeden Zweifel unmöglich zu machen, war Baras bleiche Hand noch immer um den Dolch gekrampft, dessen Klinge

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