Volk der Verbannten
gewesen, die Frage so zu formulieren. Wie konnte er nicht glauben, da der Beweis für die Wirklichkeit der Macht Ayeshas sich als Myriade winziger blauer Punkte im Dunkeln verteilte?
Der Beweis für Marikanis Göttlichkeit war als funkelnde Wolke am Himmel festgeschrieben, daran konnten all ihre Schwächen, ihre Wunden, ihre Scherze und ihr Leugnen nichts ändern.
Plötzlich verfing sich Marikanis Fuß in einer Wurzel, und sie stolperte - das hatte man nun davon, mit hochgereckter Nase zu wandern. Sie versuchte sich zu fangen, aber der Zweig, den sie zu fassen bekam, brach, und
sie spürte, wie ihr Knöchel umknickte, und stürzte beinahe … Aber im letzten Moment fing Baras Hand sie auf und stützte sie. Und sie ließ sich gehen, lehnte sich an ihn und klammerte sich an seine Schulter.
Einen Moment lang spürte sie Baras Herz nahe bei ihrem schlagen. Dann richtete er sich auf und wich einen Schritt vor ihr zurück.
»Danke«, sagte sie mit einem kleinen Auflachen. »Ein Sturz wäre meiner Würde als Göttin nicht sehr förderlich gewesen. Wenn …« Sie unterbrach sich, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte.
Bara war vielleicht ein fähiger Kämpfer, aber er hatte kein Talent, seine Gefühle vor Frauen zu verbergen. Seine Augen waren mit solchem Verlangen auf Marikani gerichtet, dass selbst die wachsende Dunkelheit seine Miene nicht verbergen konnte. Marikani war einige Augenblicke lang verblüfft, stumm vor Verwunderung. Doch sie hätte nicht überrascht sein sollen. Sie hatte genug Erfahrung. Eine solche Reaktion war so logisch, so menschlich, so … so banal.
Aber sie hatte es nicht kommen sehen. Sie hatte sich auf die Aufgabe konzentriert, die sie zu bewältigen hatte, auf die Probleme, die es zu lösen galt.
Bara erbleichte unter ihrem Blick; Marikani begriff, dass er gern im Boden versunken wäre, wenn er nur gekonnt hätte. Er stammelte etwas Unverständliches, entschuldigte sich mit wirren Sätzen, bevor er schließlich schwieg und es nicht mehr wagte aufzublicken. Sein Leid wirkte so groß, dass Marikani ihm sacht über die Schulter strich.
Bara zuckte zusammen, als hätte er sich verbrannt. Marikani begriff ihren Fehler und zog die Hand zurück …
Und erstarrte. Sie konnte den Blick nicht von etwas hinter dem Sklaven abwenden, auf dem fernen Bergkamm.
Bara vergaß alle Verlegenheit und drehte sich mit wachen Sinnen sofort um.
Rings um sie gingen Männer, Frauen und Kinder weiter; sie waren neugierig, hätten es aber nie gewagt, ein Gespräch zwischen Ayesha und ihrem Leutnant zu unterbrechen.
»Was ist?«, flüsterte Bara.
»Da drüben«, sagte Marikani und deutete auf die Gipfel. »Die orangefarbenen Lichter.« Bara runzelte suchend die Stirn. » Da «, beharrte sie, ohne die Stimme zu heben. »Südlich des Aschegipfels!«
»Ja«, sagte Bara leise, als er die Lichter schließlich entdeckte. »Drei, im gleichen Abstand voneinander.«
»Nein, fünf«, sagte Marikani und starrte wieder in die Nacht hinaus.
»Sieben«, verbesserte Bara. »Acht. Neun. Elf. Sie leuchten überall auf.«
Die Lichter folgten der Grenze des Alten Kaiserreichs. Dutzende kleiner, orangefarbener Punkte, die wie Signale in der Nacht aufflackerten und in regelmäßigen, wie mit dem Zirkel gemessenen Abständen auftauchten, um den Bergkamm hervorzuheben.
Feuer.
Dutzende, nein, Hunderte von Feuern, dort oben, auf den Bergen.
»Vielleicht sind das Karawanen oder Flüchtlinge«, flüsterte Bara. »Es ist so kalt, und sie werden sich wärmen wollen. Oder es sind Berebeï …«
»Nein«, sagte Marikani; sie zitterte. »Nein. Die Berebeï
sind nicht so zahlreich - und die Flüchtlinge nicht so organisiert.«
Sie zögerte, während die Sklaven um sie herum weiterwanderten, sie ansahen, trotz ihrer Müdigkeit lächelten. Zwei kleine, zahnlose Jungen, die sie anstrahlten, saßen auf den Schultern ihrer Eltern. Sie winkten ihr zu, und als sie vorbeikamen, zwang sich Marikani, zurückzulächeln.
»Der Pass am Aschegipfel«, sagte Bara. »Er ist ganz in der Nähe. Da drüben.« Er deutete auf einen Punkt inmitten der orangefarbenen Lichter. »Wenn Truppen herüberwollen, wäre das der sicherste Weg.«
Marikani schloss einen Moment lang die Augen.
Ein blutiges Zeichen auf den Mauern. Leichen grausam niedergemetzelter Dorfbewohner. Männer, die als Kreaturen des Gottes, dessen Namen man nicht nannte, verkleidet waren und Hass, Entsetzen und Zerstörung säten …
»Bara, verdopple die Wachen«, sagte Marikani und ging
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